Schöne Geschichte mit Fingerspitzengefühl, aber gewöhnungsbedürftige Sprecher*innen

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henrike von buchstabensalat.net Avatar

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A Reason to Stay ist das erste Hörbuch seit einigen Monaten, das ich nicht nur zum Einschlafen angemacht habe, sondern dem ich aktiv lauschen wollte. Im Rahmen einer Challenge von NetGalley habe ich die neue App des Portals ausprobiert und das Hörbuch getestet. Da die Hörbücher, die ich aktuell zum Einschlafen höre, allesamt im Fantasy-Bereich anzusiedeln sind (z. B. Mercy Thompson oder Die Krone der Dunkelheit), brachte dieses Buch auch etwas inhaltliche Abwechslung:

[Klappentext]

Triggerwarnung

A Reason to Stay behandelt folgende Themen: psychische Erkrankungen, Depression, Suizid, zerrüttete Familienverhältnisse, Manipulation, sexualisierte Gewalt. Die Protagonistin Billy ist schwarz, was stellenweise zwar relevant ist, doch sie erlebt keinen extremen Rassismus.
Diese Elemente können vor allem von betroffenen Personen als verstörend empfunden werden. Bitte schätzt selbst ein, ob ihr euch damit konfrontieren könnt oder möchtet.

Zur Handlung

Die Chemie zwischen Billy und Cedric gefällt mir gut. Es wirkte nichts wirklich abgedroschen und ausschließlich sexbezogen wie aktuell in sehr vielen New Adult Romanen. Stattdessen habe ich den beiden ihre aufkeimenden Gefühle abgekauft. Auch die inneren und äußeren Konflikte ergeben Sinn für mich. Da hat die Autorin ein gutes Händchen bewiesen.
Gut gefällt mir auch, dass Billy nicht auf ihre Hautfarbe reduziert wird, aber sie auch nicht komplett irrelevant ist. Beispielsweise erfährt Billy Vorurteile von verschiedenen Seiten und Cedrics Schwester fragt sie nach Paaren mit einem*r weißen und einem Schwarzen Partner*in.

Dass Billy ständig „oh my“ sagt, während der Rest des Textes komplett deutsch ist, hat mich irgendwann etwas genervt. Dass die Geschichte in Großbritannien spielt erkennt man nämlich auch ohne solche gezwungenen deutsch-englischen Phrasen: es werden häufig Ortsnamen genannt.
Und ich muss leider sagen, dass das Ende mir nicht so gut gefällt. Es passiert zu viel auf einmal und vor allem zu schnell ohne Ankündigung. Bestimmte Wendungen habe ich vorzeitig geahnt, weshalb sie für mich nicht so überraschend kamen wie wahrscheinlich von der Autorin geplant. Anderes wurde viel zu schnell und vor allem viel zu einfach aufgelöst und es wirkte geradezu so, als hätte das Buch entweder schnell fertig oder auf eine bestimmte Seitenzahl gekürzt werden müssen. Das Ende kann jedenfalls mit dem Anfang nicht so richtig mithalten.

In anderen Rezensionen zu A Reason to Stay habe ich mehrfach gelesen, dass es zu viele ernste Themen auf einmal seien; dass die Autorin sich lieber eines hätte aussuchen sollen. Ich finde die Tatsache, dass es so viel auf einmal ist, allerdings ziemlich gut gemacht. Denn so ist es in der Realität nun mal: es kommt immer alles auf einmal und das meiste davon kann man von außen nicht erkennen. Ich hatte nicht das Gefühl, von ernsten Themen wie psychischen Erkrankungen, Suizid, elterlichem Versagen oder Adoption erschlagen zu werden. Mir hat die Mischung gut gefallen und vor allem der Umgang der Autorin damit. Diese Dinge wurden thematisiert und nicht unterdrückt, es wurde sensibel damit umgegangen und gerade dadurch wirken sie sehr normal. Diese Normalisierung ohne Totschweigen begegnet mir leider sehr selten – in der Literatur wie im realen Leben.

Anscheinend ist A Reason to Stay der erste Band von mindestens zweien. Das wusste ich aber vorher nicht und ich habe es auch an keiner Stelle gemerkt. Dieses Buch lässt sich hervorragend als Einzelband lesen. Wenn ich raten müsste, würde ich vermuten, dass sich Band 2 um die besten Freund*innen der Protagonist*innen aus diesem Band dreht.

Hörbuch-Spezifika

Gelesen wird das Hörbuch von Julian Mill und Maren Ulrich. An beide musste ich mich erst gewöhnen, aus unterschiedlichen Gründen: Mill wirkte oft gelangweilt, was es mir erschwerte, mich zu konzentrieren und Ulrich übertrieb es öfter mal mit ihrer absichtlich quietschigen Stimme. Besonders Billys beste Freundin Olivia konnte ich kaum ertragen, obwohl sie mir charakterlich mit am besten gefällt. Dadurch konnte ich mich mit Mills Kapiteln besser anfreunden als mit Ulrichs. Ziemlich befremdlich fand ich dagegen, dass die Charaktere und damit auch die Sprechenden stellenweise ein paar Verse gesungen haben. Aber sie haben dabei fast geflüstert. Das ging schon fast ein bisschen in Richtung ASMR, was mir so gar nicht liegt.

Insgesamt war es „typisch Hörbuch“ für mich. Wie ich zu Hörbüchern stehe, habe ich in meiner letzten Kolumne ja schon ausführlich beschrieben. Darüber hinaus habe ich vergessen, dass man die Geschwindigkeit anpassen kann, und habe für mein Gefühl viel zu lange gebraucht. Hätte ich das Buch gelesen anstatt das Hörbuch zu hören, wäre ich innerhalb von 2-3 Tagen durch gewesen – mit dem Hörbuch hatte ich gute 4 Wochen zu tun. Das ist aber „menschliches Versagen“, wenn man so will. Das liegt nicht an diesem Hörbuch. Der Vollständigkeit halber möchte ich es trotzdem erwähnen.

Eine technische Schwierigkeit jedoch gab es: in der NetGalley-App konnte ich das Hörbuch nicht vollständig vor dem Anhören herunterladen. Stattdessen stockte die Geschichte mindestens alle 2 Kapitel, weil wieder ein bisschen heruntergeladen werden musste. Das funktionierte auch nur, wenn ich mein Tablet in die Hand genommen und die Bildschirmsperre entfernt habe. Ich wünsche mir, dass ein vollständiger Download vor dem Anhören möglich ist. Das macht nicht nur das Hörerlebnis angenehmer, sondern sorgt auch dafür, dass sich die App für unterwegs eignet, wenn man nur wenig Datenvolumen auf dem Mobilgerät hat. So, wie es jetzt ist, eignet sich die App – und aktuell gibt es noch keine andere Möglichkeit, Hörbücher von NetGalley anzuhören – nur für Zuhause.

Fazit

Die Geschichte von Billy und Cedric habe ich gern verfolgt, aber am Ende hatte ich den Eindruck, dass zu viel zu plötzlich aufgelöst werden sollte, und die „überraschenden“ Wendungen waren leider zu vorhersehbar. Die beiden Hörbuch-Sprecher*innen haben ihren Job ganz gut gemacht. Das stockende Laden der Kapitel in der App hat mich etwas gestört.