Zwei Frauenschicksale im Deutschland des 20. Jahrhunderts

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Die Geschichte Deutschlands des 20. Jahrhunderts wird anhand der Lebensgeschichte von Margo und Helene erzählt.
Beide arbeiten vor dem Krieg als junge Frauen im Fotogeschäft Werner in Stendal, einer mitteldeutschen Kleinstadt, nahe der späteren innerdeutschen Grenze. Margo in der Buchhaltung, Helene, die aus dem Spanischen Bürgerkrieg kommt, als Fotografin. Wenn die beiden auch keine Freundschaft verbindet, so doch eine Art gegenseitiges Verständnis. Beide sind unglücklich in Alard von Sedlitz, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, verliebt. Margo mehr aus jugendlicher Schwärmerei, denn er hat ihr den Namen Margo gegeben, sie sei keine Margarethe oder gar ein Gretchen. Helene tief und innig, denn er hat sie aus der Hölle des Spanischen Bürgerkrieges gerettet.
Kurz nach Kriegsbeginn wird Helene von der Gestapo abgeholt. Sie überlebt das KZ und rettet sich 1945 auf Gut Mondsee, das väterliche Gut von Alard v.S. Dorthin verschlägt es auch Margo in den Wirren des Krieges. Margo hat mittlerweile eine kleine Tochter - das Ergebnis einer verzweifelten Nacht mit Alard, in der beide sich ein bißchen Wärme gegeben haben
Als plündernde und mordende Horden das Gut überfallen, kann Helene mit Margos Tochter fliehen, Margo wird schwer mißhandelt, überlebt aber.
Die ersten Nachkriegsjahre verbringt Margo mit Mutter und Schwester in Stendal. Als ihr Mann Henri, den sie 1942 geheiratet hatte, aus der Kriegsgefangenschaft zurückkommt, zieht sie zu ihm nach Westdeutschland, beide bekommen noch eine Tochter Leonore. Margo, für die lt. Aussage einer alten Wahrsagerin die Arbeitskarte immer obenauf liegt, beginnt in der Firma von John Bajohr zu arbeiten und wird durch ihren Fleiß und ihr Durchsetzungsvermögen für neue Geschäftsideen bald zur rechten Hand des Chefs und eine zeitlang auch dessen Geliebte.
Helene, die in ihrer schweren Zeit im KZ Hilfe von den Genossen erhalten hat, lebt mit Margos Tochter als ihrer eigenen Tochter in Berlin und arbeitet für das MfS Abteilung A. Da auf Seiten der DDR großes Interess an der Arbeit von Bajohrs Firma besteht, kommt es zur nächsten - von der Stasi gesteuerten - Begegnung der beiden Frauen unter recht ungewöhnlichen Bedingungen.

Cora Stephan, die auch schon einige außergewöhnliche Krimis geschrieben hat, ist mit diesem Roman eine kritische und gleichzeitig verständnisvolle Aufarbeitung der Geschichte Deutschlands von 1936 bis 2000 gelungen. Trotz des langen Zeitraumes hält sie den Kreis der handelnden Personen übersichtlich, so dass der Leser die Entwicklung der einzelnen Charaktere gut verfolgen kann. Besonders ihre Protagonistinnen Margo und Helene haben ihre Ecken und Kanten, hier wird nicht in Gut und Böse unterschieden, sondern Cora Stephan gelingt es, alle Schattierungen zu erfassen und damit die Farbigkeit des Lebens zu schildern.

Die Hauptperson Margo weiß schon als junges Mädchen sehr genau, was sie will, eine anspruchsvolle und verantwortungsvolle Arbeit. So nimmt sie mit 14 - zuerst gegen den Willen ihrer Eltern - eine Buchhalterlehre im Fotogeschäft auf und spürt schon bald, dass Zahlen ihre Welt sind. Nach dem Krieg in Westdeutschland als Ehefrau und Mutter, kann sie sich nicht vorstellen, wie die meisten Frauen ihrer Generation nu zuhause für die Familie zu sorgen. Schnell überzeugt sie ihren Ehemann, dass sie die Arbeit zum Leben braucht und ist maßgeblich am Durchbruch und an den Erfolgen der Firma Maxdatex beteiligt. Margo ist tatkräftig, zupackend, eigentlich ohne Illusionen, aber sie hatte mit aller Kraft ihres jungen Herzens an die Sache Deutschlands und die Versprechungen des Führers geglaubt. 1945 ist sie ernüchtert und weiß, dass sie belogen und betrogen wurde, und unterliegt einige Jahre später doch wieder anderen falschen Versprechungen.

Im Gegensatz zu der nüchternen Margo, für die Zahlen und Ordnung alles sind, ist Helene, die Fotogafin "mit dem Blick" die Kreative. Sie hat als junge Frau Illusionen, geht sogar in den Spanischen Bürgerkrieg, wo sie sehr eindrucksvolle Fotos macht, zufällig leider aber auf der falschen Seite ist, wie sie später selbst einschätzt. Sie schmiedet mit Alard und dem schottischen Offizier Liam Pläne, wie man den Ausbruch des Krieges verhindern könnte. Damit wird sie im Nazideutschland zur "Vaterlandsverrätein". Aber ihr Kampfgeist und Überlebenswille läßt sie die schrecklichen Jahre überstehen. Da sie im KZ viel Hilfe von den Genossen bekommt, ist es für sie nach dem Krieg nur folgerichtig, bei der Hauptabteilung A des MfS zu arbeiten. Im guten Glauben läßt sie sich als "Kundschafterin des Friedens" ausbilden und trifft in dieser Funktion nach Jahren wieder mit Margo zusammen.
Helene bleibt dabei immer kritisch, ist nie linientreu oder parteikonform und muß am Ende feststellen, dass sie in ihrem Leben eigentlich immer auf der falschen Seite gestanden hat.

Mit dem Leben dieser beiden Frauen schildert Cora Stephan das Leben und die Entwicklung im geteilten Deutschland sehr einprägsam. Einerseits das Wirtschaftswunder Westdeutschlands und die rasante Entwicklung, an der auch Margo mitarbeitet und natürlich auch davon profitiert. Andererseits die Entwicklung in der DDR. die allmählich immer stärkere Abschottung, die Mangelwirtschaft, und den wirtschaftlich Verfall, der letztendlich nicht mehr aufzuhalten ist.

Ein großartiges Geschichtsbuch, das auf interessante und spannende Weise Familiengeschichte in das Zeitgeschehen integriert.