London, 1968

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
pedi Avatar

Von

Es ist das Jahr 1968 in London. Eine Zeit des Umbruchs weltweit. Die Jugend rebelliert gegen althergebrachte Strukturen, will neue Freiheiten, gerade auch in der Geschlechterfrage. Die Eltern-Generation, völlig anders geprägt, z.B. auch durch eine oder sogar zwei Weltkriegserfahrungen stehen diesen Bestrebungen ablehnend und verständnislos gegenüber. Aber es ist etwas in Bewegung geraten, das sich so schnell nicht aufhalten lässt. Dieses Zeitgefühl trifft William Shaw in seinem Buch "Abbey road murder song " vortrefflich. Es weht ein neuer Wind, aber wie viel Widerstand er erfährt wird auch deutlich. Viele der Protagonisten stecken noch ganz tief im Mief der Fünfziger Jahre. Sie denken rassistisch und frauenfeindlich. Erstaunlich, wie wenig Frauen damals beruflich und privat erlaubt war. Wie selbstverständlich viele weibliche Berufstätige, hier im Polizeidienst, sexistische Bemerkungen und Handlungen einfach geschluckt haben. Wieviele Vorurteile herrschten, z.B. Frauen, die die Pille nahmen waren automatisch Flittchen. Neben diesem Generationenkonflikt steckten die früheren Kolonialmächte, allen voran Großbritannien und Frankreich mitten im Auflösungsprozess ihrer Weltreiche. Hier im Roman werden wir mit dem Konflikt um Biafra konfrontiert. In meiner Kindheit der Inbegriff des Elends, das "Biafrakind", ist dieser Konflikt, stellvertretend für all die anderen postkolonialen Kriege, viel zu sehr in Vergessenheit geraten. Der Leser erfährt also sehr viel gesellschaftspolitisches aus dieser Zeit. William Shaw gelingt es auch viel Atmosphäre aufzubauen, sei es durch Mode, Musik oder Einrichtungsdetails. Unglaublich, mit welcher Intensität damals viele Beatles-Fans ihre Idole verehrt und verfolgt haben. Aber das Beste an diesem großartigen Buch ist, dass dies alles völlig harmonisch und unaufdringlich in eine spannende Kriminalhandlung verpackt wird. Ein junges Mädchen, offensichtlich Teil der Beatles-Fanszene wird brutal ermordet. Niemand scheint sie zunächst zu vermissen. Nach recht mühsamen, immer absolut authentischen Ermittlungen führt die Spur schließlich zu ihren Eltern und den nigerianischen Nachbarn des Leichenfundortes und münden schließlich in einem spannenden Showdown. Allein die Schilderungen dieser Untersuchungen, ganz ohne Handy, internationale Datenbanken, Gentests und was wir sonst noch alles gewohnt sind, ist unglaublich interessant.
Man kann also sowohl einen gesellschaftspolitischen Roman aus dem England von 1968 lesen, als auch einen spannenden Polizeikrimi. Beide sind überaus gelungen und warten zudem mit einem sympathischen, glaubwürdigen Ermittlergespann auf. Was will man mehr? Deshalb eine uneingeschränkte Leseempfehlung!