Der Vorgeschmack auf das Leben

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elli-spirelli Avatar

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In Laura Laabs Wenderoman „Adlergestell“ kommt die Wende nur am Rand aus Kinderperspektive zum Tragen. Und das ist originell, sehr unterhaltsam und auch einfühlsam. Im Zentrum steht eine dreiköpfige Mädchengruppe, es geht um Vertrauen, Gemeinschaft, Reifungsprozesse, Spaß, aber auch Verrat und Lüge. Die großen und kleinen Dinge, die im Wandel begriffen sind, werden en passant beschrieben – das neue, klebrige Flutscheis, die neuen Lieder der Lehrerin von Rolf Zuckowski in der Schule, die neuen Texte im Lesebuch – Mutti geht nicht mehr zur Arbeit, sondern Mama bleibt zuhause. Eine Aufbruchsstimmung hat die Erwachsenen erfasst, die sich natürlich auch auf die Kinder überträgt, bei ihnen aber als Faszination, Abenteuer und Neugier, ohne die Existenz- und verlustängste der Großen. „Über Nacht war der alte Konsum in den neuen Krieg des Konsums eingetreten, und wir waren seine Söldner. (...) Kassierten ab, als ob es kein Gestern gäbe.“
Lenka, Chaline und die Ich-Erzählerin bilden eine Dreiergruppe, die immer wieder durch Streit auseinanderbricht, drei Mädchen, die ihre unterschiedliche Herkunft mit sich tragen und mit ihren Problemen zu kämpfen haben. Alle suchen aber den Nervenkitzel, das große Abenteuer, aber auch Anerkennung und Liebe. Als Trio Infernale gehen sie den schmalen Weg zwischen dem Fauxpax oder der Jugendsünde und schon kriminellen Delikten, die nicht mehr akzeptabel sind. Sie befruchten sich gegenseitig nicht nur positiv und geraten in die Position der Außenseiter und Schwererziehbaren, da die Eltern und Lehrer das Augenmerk nicht auf das Wesentliche, sondern bloß ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Unsicherheiten richten.
Unterbrochen werden die einzelnen Kapitel des Romans durch Werbung wie die Episoden im neuen Westfernsehen, kurze, pointierte Intervalle, die letztendlich das neue Glück bissig und ironisch infrage stellen. Können die drei es schaffen, in dieser neuen Welt aufzuwachsen, heil an Körper und Geist, und sich selbst finden? Wird ihre Freundschaft den Umständen trotzen und überdauern?
„Wir ließen die Beine baumeln und zutschten am Calippo. Der Geschmack darin war flüchtig, man hatte ihn schnell, mitsamt der Farbstoffe, aus dem Eis gezogen, das blank und fad zurückblieb. Im Mund aber vermischte sich die Süße mit dem Sand zwischen unseren Zähnen zum Vorgeschmack auf ein Leben, das noch kommen sollte.“
Ein kluger, lustiger, ungemein unterhaltsamer Roman, der die Zeit leichtfüßig beleuchtet, aber auch zum Nachdenken anregt, sprachlich pointiert und gekonnt, eine klare Leseempfehlung!