Ist dieser Roman wirklich ein Krimi ? Und über das Historische kann man sich streiten.

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
bovary Avatar

Von

Inhalt (gemäss hinterer Umschlagseite)
Christian Stern, ein ehrgeiziger junger Gelehrter und Alchimist, kommt im Winter 1599 nach Prag, um dort sein Glück zu machen. Gleich in der ersten Nacht findet er die Leiche einer jungen Frau in der Nähe der Burg. Zunächst steht er selbst unter Verdacht, doch dann wird der Kaiser Rudolf auf Christian aufmerksam und betraut ihn mit den Ermittlungen.

Zeit
Der Roman spielt im Dezember 1599 und Januar 1600.

Covergestaltung
Es wird die Karlsbrücke, der Altstädter Brückenturm und ein Teil der Prager Kleinseite (?) im Hintergrund gezeigt.
Eigentlich ein sehr schönes Cover, aber die Frauenfigur darauf trägt garantiert nicht die Mode, welche man am Ende des 16. Jahrhunderts trug. (Anachronismus)

Zur Sprache/Zum Stil
Eigentlich durchaus lesbar, keine schwierige Sprache, aber der Stil war nicht so meiner.
Viele Weisheiten wurden ein wenig abgeändert ständig wiederholt, so dass sie dann eher zu Plattitüden wurden.

Zu den Titeln

Zum britischen (original) Titel «Prague Nights» (Prager Nächte).
Auf eine Art noch sehr passend, da doch häufig durch die Nächte spaziert, getänzelt, gerannt oder geflüchtet wird (oder man seine Blase von zu viel Wein oder sonstigem Alkohohl irgendwo an einer Hauswand entleert).
Man kann den Titel aber auch noch anders auslegen, vor allem, wenn im Roman noch ein paar andere Dinge mehr getrieben worden wären, als sie sowieso schon zu häufig beschrieben werden.
Aber dann hätte man diesen Roman einer anderen Gattung zuschreiben müssen.

Zum deutschen Titel «Alchimie einer Mordnacht».
Da der Ich-Erzähler Christian Stern immer wieder betont, wie sehr er die Alchimie und die Alchimisten verabscheut und er mehr der Naturphilosophie zugeneigt ist, kommt die Alchemie (oder irgendetwas okkultes oder geheimgesellschaftliches) eigentlich gar nicht im Roman vor. Falls, dann eher rudimentär.
So ist der deutsche Titel eher irreführend, was sehr schade ist, da ich dadurch doch eigentlich auf mehr Okkultismus und Geheimbünde gehofft habe (anstatt auf Hofintrigen oder was man auch immer darunter verstehen soll).

Auch der Untertitel «Ein Historischer Kriminalroman» ist eher irreführend.
Unter einem Krimi stelle ich mir eigentlich etwas anderes vor. Christian Stern, welcher eigentlich ermitteln sollte, und als Naturphilosoph und mit medizinischen Kenntnissen ausgestattet, eigentlich die Voraussetzungen eines Ermittlers des (ausgehenden) 16. Jahrhunderts erfüllen würde, kommt mehr oder weniger so durch den Roman hindurch plätschernd auf die Lösung, als durch wirkliches Ermitteln. Na ja, wenigstens achtet er mehr oder weniger auf das, was die Höflinge ihm erzählen oder ihm weismachen wollen.

Und was das Historische betrifft.
Ich habe lieber historische Romane, in denen alle Hauptakteure eher fiktional sind und nur die Randfiguren historisch (belegbare) Persönlichkeiten sind. Und bei welchen man wirklich sehr gut recherchiert hat, auch die Alltagsbelange (deswegen wünschte ich mir auch am Ende eines historischen Romans eine Literaturliste mit der vom Schriftsteller benutzen Primär- und Sekundärliteratur, was ja selten genug vorkommt).
Aber in diesem Roman findet mir einfach ein zu grobes Vermischen von fiktionalem und historischem statt. Wenn das, was der Autor im Nachwort geschrieben hat («umfangreiche Verfälschungen der historischen Fakten» S. 371), schon in einem Vorwort gestanden hätte, ich hätte den Roman sicherlich nicht gelesen.
Falls das häufiger vorkommt, kann man ja gleich alle Historiker abschaffen, die wären ja dann völlig überflüssig (aber vielleicht sind sie das ja sowieso schon seit langem?!).

Zum amerikanischen Titel «Wolf on a String» (Wolf auf einer (Instrumenten)Saite).
Wahrscheinlich noch der passendste Titel, da das Wort Wolf noch häufig im Roman vorkommt.
Eine Erklärung dazu liefert der Roman auf Seite 229:
Wolfston (Geiger) «…Hört ihr dieses schreckliche Flackern, das er ab und an produziert?...das kommt vor, wenn ein bestimmter Ton auf einer bestimmten Saite gespielt wird. Dabei kann es passieren, dass das Holz des Instruments mitschwingt, und so entsteht ein misstönendes Heulen, dem eines Wolfs nicht unähnlich. Ist das nicht seltsam, dass zwei Teile desselben Instruments manchmal so gar nicht harmonieren, statt gemeinsam wundervolle Musik zu machen?»


Zu den Figuren
Eigentlich konnte ich die meisten Figuren nicht leiden. Alle diese intriganten Höflinge (und dazu noch diese Durchmischung von fiktional-historischem).
Dazu muss ich noch sagen, dass ich durchwegs auch Romane mit unsympathischen Figuren ohne Probleme lesen kann. (z.B. «Der Friedhof von Prag» von Umberto Eco).
Der Ich-Erzähler Christian Stern, 25-jährig, welcher der uneheliche Sohn des Fürstbischofs von Regensburg und einer Magd ist und in Prag dann ziemlich schnell zum Günstling des Kaisers aufsteigt und nur von einer Episode mit einem/einer Person vom Hof zur nächsten schlingert, sagt im Roman einmal über sich selbst: «Ich wollte ohne Hemmnis und Verzug direkt ins Herz des Kaiserreichs vordringen, welche Mittel oder Listen auch dazu nötig sein mochten, so gross war mein Ehrgeiz und so stark mein Selbstvertrauen.» S. 12).Sagt das nicht schon alles über ihn aus? Und so sind eigentlich die meisten Figuren dieses Romans.
Ich hatte während des Lesens auch langsam das Gefühl, dass das Frauenbild im Roman ziemlich sexistisch ist und dies ist eher dem Schriftsteller geschuldet, als der damaligen Zeit! Und eine gewisse Diskriminierung kam auch vor und ich meine jetzt nicht den Zwerg Jeppe Schenckel (obwohl es indirekt mit ihm zu tun hat!).

Fazit
Der erste Krimi/Roman von Benjamin Black/John Banville, den ich gelesen habe.
Die Leseprobe war vielversprechend, der ganze Roman jedoch hat mich enttäuscht. Weder als Krimi (die Auflösung war dann soso lala ), noch als historischer Roman wirklich gut (vom geographischen Prag habe ich dadurch auch nichts neues erfahren).
Es wundert mich, dass ich es geschafft habe, ihn ganz durchzulesen. An und für sich hätte man den Roman um mindestens 100 Seiten kürzen können.
Aufgrund dieses Romans würde ich weder das Buch noch den Schriftsteller weiterempfehlen.
Lieber lese ich nochmals den Roman «Der Name der Rose», an den die LP mich durch den Erzähler Christian Stern (aber Adson von Melk ist mir als Erzähler doch sympathischer) erinnert hatte.

Zitat
Der einzig wirklich gute und wahre Satz im ganzen Buch war meiner Meinung nach dieser hier, darüber wem oder was man anhängen sollte:
«Es gibt keine richtige Seite, nie» (S. 359)