Zeit ist politisch

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Teresa Bücker – Alle_Zeit

Das Thema Zeit hat mich bei der Lektüre dieses Buches ständig eingeholt, denn der Dezember ist leider der Monat im Jahr, der mir nur wenig Zeit für konzentriertes Lesen lässt. Und konzentriert sollte man sein, um Teresa Bückers Gedanken den nötigen Raum zu geben. Dabei ist Zeit vermutlich etwas, das die meisten Menschen zu wenig haben, obwohl der Tag ja für uns alle gleichermaßen 24 Stunden bereithält. Warum also denken wir das? Und warum sollten wir kostbare Zeit zum Lesen dieses Buches verwenden?
Nun, auch wenn ich vor der Lektüre dachte, ich hätte mich schon ausgiebig mit der Bedeutung von Zeit beschäftigt, musste ich doch wiederholt feststellen, dass ich häufig auf der persönlichen Ebene steckengeblieben war. Zeit ist nicht nur etwas, das jede*r gern hätte, um sich zu erholen oder um sie mit schönen Erlebnissen zu füllen. Zeit ist hochpolitisch, denn immer geht es auch darum, wem wie viel Zeit für was zur Verfügung steht. Und dass die Zeit einiger Menschen höher bewertet wird als die anderer. Teresa Bücker widmet sich verschiedenen Ansätzen für eine Zeitgerechtigkeit, sie schaut, was unbezahlte Care-Arbeit auslöst und warum sich viele Menschen permanent unzufrieden mit ihrer Zeit fühlen, obwohl sie rein rechnerisch genügend Freizeit haben. Doch was bedeutet schon Freizeit? Laut Bücker sollte es nur die Zeit sein, die wir ausschließlich für die Dinge aufwenden, die wir freiwillig und ohne gesellschaftlichen Druck machen wollen. Einkaufen und mit den Kindern spielen gehört nicht dazu, selbst Sport ist ein Grenzfall, da wir häufig nur Sport treiben, weil es gut für uns ist und nicht, weil wir uns in dem Moment nichts Schöneres vorstellen können. So bleiben im Tagesverlauf immer nur kurze Momente zur freien Verfügung, und mit derlei Zeitkonfetti ist nicht viel anzufangen. Bücker plädiert für eine radikale gesellschaftliche Veränderung, denn wenn jede*r von 20 Stunden Lohnarbeit gut leben könnte, hätten wirklich alle Menschen die Möglichkeit, sich politisch einzubringen, und nicht nur diejenigen, die es sich finanziell leisten können und dazu andere Menschen haben, die sich um ihren Anteil an Care-Arbeit kümmern. Sie führt auch die Vier-in-einem-Perspektive der Soziologin Frigga Haug als gerechte Möglichkeit der Zeiteinteilung an: Jede*r Erwachsene solle pro Tag je vier Stunden für Lohnarbeit, Care-Arbeit, Selbstfürsorge und gesellschaftspolitisches Engagement zur Verfügung haben, denn nur so könne gewährleistet werden, dass für alle Bereiche auch qualitativ genügend Zeit vorhanden wäre.
Teresa Bücker hat ein wissenschaftlich fundiertes Buch geschrieben, das Denkanstöße und Lösungsansätze bietet und gleichzeitig sehr gut zu lesen ist. Ich kann es allen empfehlen, die sich aus gesamtgesellschaftlicher einmal mit diesem Thema befassen möchten. Also allen Menschen, denn das sollten wir dringend alle tun.