Etwas holzschnittartig

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takabayashi Avatar

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Der Klappentext klang nach einer richtig guten Geschichte aus dem 20. Jahrhundert. Gerade auch weil sie vorwiegend in (Ost-)Berlin handelt, interessierte die Geschichte mich als (West-)Berlinerin besonders.
Die Hauptperson ist Ilse Schellhaas, 1922 in Thüringen geboren. Sie und ihre Schwester Marga wachsen nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter auf, aber Ilse hängt auch sehr an ihrem Vater, einem Architekten und Bauunternehmer, den sie bewundert und von dem sie die Leidenschaft für die Architektur übernommen hat. Sie setzt sich gegen einen gewissen familiären Widerstand durch, macht Abitur, geht zum Studium nach Weimar und gerät dann in die Wirren der Nazizeit und des zweiten Weltkrieges.
Der Roman spielt abwechselnd auf 2 Zeitebenen: einerseits im Ostberlin der Jahre 1950 - 53, als es Ilse gelingt, ins Planungskollektiv für die erste sozialistische Prachtstraße - die Stalin- bzw. später dann Karl-Marx-Allee - aufgenommen zu werden; andererseits in Rückblicken auf Ilses Entwicklung und Schicksal ab dem Jahr 1932.
Die Grundidee ist sehr gut und die Geschichte historisch interessant, aber die Umsetzung vermochte mich nicht immer zu fesseln, manche Passagen zogen sich recht zähflüssig in die Länge. Im Vordergrund stehen immer Ilse und die Bauarbeiten, denen Ilse sich mit Leib und Seele voller Begeisterung verschrieben hat. Aber es gibt auch zahlreiche andere Figuren, deren Leben mit dem Ilses verwoben ist, die aber oft wie am Reißbrett entworfen wirken und jeweils eine Funktion für den Fortgang der Geschichte haben. Das ist gewiss in Romanen häufiger der Fall, aber hier nehmen sie leider oft nicht wirklich Konturen an, erwachen nicht zum Leben. Die Lektüre von Richard Dübells Jahrhundertsturm-Trilogie hat mich für das Genre der historischen Romane begeistert, er versteht es meisterhaft, historische Fakten und Personen mit fiktiven menschlichen Schicksalen in genau der richtigen Balance zu verbinden, so dass man viel über die jeweilige Epoche erfährt, aber sich auch mit den Protagonisten identifizieren, mit ihnen mitfiebern und sich mit ihnen freuen kann. Diese Qualität habe ich hier vermisst, ich habe mich eher wie ein distanzierter Beobachter gefühlt. Bei Dübell war ich ganz traurig, wenn das Buch zuende war (obwohl mit 700 - 1000 Seiten sehr voluminös), hier habe ich immer mal wieder überprüft, wie viele von den 550 Seiten ich denn noch vor mir hatte...
Der Roman wirkte mit zu vielen Themen, Ereignissen und Personen auch etwas überfrachtet, die Bauarbeiten z.B. nahmen eine etwas zu beherrschende Rolle ein im zweiten Teil und eine gewisse Straffung und Kürzung hätte dem Roman möglicherweise gut getan.
Trotzdem ist es kein schlechtes Buch, die Geschichte, die sich an das Leben der Mutter des männlichen Teils des Autorenpaares anlehnt, ist durchaus interessant, nur die menschlichen Schicksale erschienen mir hin und wieder zu konstruiert und ließen mich auch häufig kalt.