Eine Geschichte, so tief wie der Ozean

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scarletta Avatar

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Ist das nicht ein atemberaubend schönes und bewegendes Cover? „Allein auf dem Meer“ heißt dieser Jugendroman von Chris Vick. Doch auf dem Cover entdeckt man sogleich, dass der englische Titel „Girl. Boy. Sea“ noch treffender ist.

Unten der unermessliche gefährliche, unberechenbare Ozean, oben die erbarmungslose heiße Sonne, dazwischen ein Mädchen und ein Junge in einer winzigen Nussschale.

Inhalt
Der 13 jährige britische Junge Bill ist mit anderen Jugendlichen auf einer Yacht in der Nähe der Kanarischen Inseln unterwegs, als sie in einen orkanartigen Sturm geraten. Bill verpasst den rettenden Sprung aufs Rettungsboot und treibt nun alleine auf einem schmalen Ruderboot mit wenigen Nahrungsmitteln. Alles ändert sich, als er ein weiteres Sturmopfer, ein Mädchen auf den Wellen entdeckt, das bewusstlos, dem Tode nahe in einem Wrackteil liegt.
Was für eine Geschichte trägt Aya, das Berbermädchen mit sich, und was für ein kostbares Geheimnis schützt sie? Beide jungen Menschen stehen der schier übermächtigen Herausforderung sehr unterschiedlich gegenüber.

Will Ben wirklich eine Art Testament, eine letzte Nachricht für seine Familie hinterlassen? Nein, noch ist der Tod keine Option für ihn. Auch Aya hat ein Ziel, für das sie kämpfen will.

Meine Meinung
Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich das Buch völlig absorbiert, sodass ich Unterbrechungen absolut störend empfand.

Mir haben die beiden Protagonisten außerordentlich gut gefallen. Bill und Aya sind sehr eindrückliche, authentische Charaktere. Sie treffen unter extremen Bedingungen aufeinander, in denen es nur noch um Leben und Tod geht. So müssen sie die ganze Kraft und Tiefe ihrer Persönlichkeiten, Willensstärke und Überlebenswillen offenbaren.

„Und ich tat es. Ich fühlte mich nicht gut dabei. Ich fühlte mich auch nicht schlecht. Es war eine ernste Sache. Und ich war dankbar. Die Schildkröte und der Fisch waren Gaben. […] Keine Mörder mehr. Jäger. […] „Du tötest für Leben. Du kannst. Jeder kann. Mann, Frau, Kind.“ „Ich weiß. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich das jemals tun müsste.“ S. 85

Aya ist ein sehr spezieller Charakter, dessen Tiefe sehr allmählich und sorgsam im Laufe der Handlung enthüllt wird. Magisch erzählt sie ganz eigen und persönlich gefärbte Geschichten aus 1001 Nacht nach. Unbeugsam verteidigt sie sich gegen Bedrohungen vom Himmel, auf festem Land, auf der See und auch von menschlicher Seite her. Mich hat berührt, was für ein knallhartes Mädchen Aya eigentlich ist.

Absolut nachvollziehbar und ehrlich fand ich die Darstellung der Handlungs- und Denkweise der jugendlichen Protagonisten. Spannend ist die vielschichtige Entwicklung ihrer Freundschaft zu beobachten. Man nimmt es ihnen gerne ab, dass hier eine lebenslange Verbindung entstehen könnte.

Ja, das Prinzip der Entwicklung ist ein wesentlicher Punkt in diesem Roman. Wie schön zu beobachten, wie Bill und Aya allmählich Elemente der Sprache des anderen lernen. Langsam enthüllt sich auch Ayas tragischer Hintergrund.
Auch wenn Aya und Bill den Plot bestimmen, hinterlassen ebenso Nebencharaktere einen intensiven Eindruck. Das wird gerade gegen Ende des Buches klar.

Die Schauplätze der Handlung sind rar und klein. Trotzdem kommen nie Langeweile oder Wiederholungen auf. Im Gegenteil. Die Spannungsführung in den kurzen Kapiteln ist exzellent. Wenn man beim Bild des Meeres bleiben will, so werden die Köder für die Lesenden perfekt ausgeworfen. Die in der Geschichte berührten Themen sind vielfältig: Sklaverei, Selbstüberwindung, Freundschaft, Überlebenswillen, Tod.

Fazit
Auch nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, ließ es mich nicht so schnell los. Es ist zwar erst Februar, aber dieses Buch ist jedenfalls schon mal ein Highlight des Jahres.

Vom Verlag wird als Lesealter ab 11 Jahren angegeben. Da würde ich nach der Entwicklung des jeweiligen Kindes schauen. Auf jeden Fall ist das Buch nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene eine brillante Lektüre.

Eine absolute Leseempfehlung!