Senioren-WG, leider ohne Tiefgang

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Als Philip, der gerade noch in Afrika als Arzt praktiziert hat, zufällig seiner Jugendfreundin Ricarda über den Weg läuft, lädt er sie spontan ein, Teil seiner WG zu werden – jedoch gibt es diese umständehalber gerade einmal seit 2 Minuten und die weiteren Mitbewohner fehlen bislang. Da Ricarda in ihrer Wohnung mit umfangreichen Sanierungsmaßnahmen zu rechnen hat, nimmt sie sein Angebot an. Schneller als erwartet füllt sich das Haus von Philips verstorbener Mutter mit neuem Leben und ein bunter Haufen netter Menschen um die 60 herum kommt so zusammen…

Vom lustigen Cover angelockt, das mit den bunten Macarons in der Buchhandlung direkt meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, kam ich direkt zum Klappentext – eine Ü60-WG, was für eine lustige Idee, zumal ich erst kürzlich lesenderweise am Leben einer Ü40-WG teilhaben durfte und meinen Spaß daran hatte. Dann geht es also auf zur nächsten Altersstufe ;-).

Beatrice Meier hat die knapp über 300 Seiten in sehr knappe Kapitelchen eingeteilt, die teilweise sogar nur 2-3 Seiten umfassen. Dadurch kommt schnell Tempo in die Geschehnisse und es gelingt mühelos, alle Charaktere perfekt unter einen Hut zu bringen, ohne dass einer von ihnen zu kurz kommt. Sehr interessant fand ich den Kontrast zwischen der doch eher jung, teilweise fast schon jugendlich geprägten Sprache der Autorin und dem relativ hohen Alter der Protagonisten. Diese stellen sehr unterschiedliche Charaktere dar, was der Geschichte natürlich eine gewisse Würze verleiht:
Ricarda, die schnell so etwas wie die „WG-Mutti“ darstellt glänzt durch ihr Organisationstalent. Sie ist sehr sympathisch und kennt Philip schon seit ihrer Jugend.
Philip, der beste Freund von Ricardas Mann, bietet die Räumlichkeiten und ist ansonsten eher zurückhaltend.
Uschi, eine quirlige Wurstverkäuferin, hat sich bis zum Tod von Philips Mutter um diese gekümmert. Sie stellt ein wenig den Gegenpol zu dem ansonsten so gebildeten Haufen dar und ist mir – vielleicht nicht nur wegen ihrer lustigen Art – sehr ans Herz gewachsen.
Harry ist ein kleiner Grummel, aber auf seine Art auch ein sehr liebenswerter Zeitgenosse – immerhin traut er sich problemlos, auch unbequeme Wahrheiten direkt auszusprechen!
Dahingegen ist Eckart ein sehr ruhiger Mensch, der seiner verstorbenen frau noch immer arg nachtrauert.
Nicht zu vergessen Ralf, der kleine dicke WG-Dackel, der alle Bewohner mit seiner Charme verzaubert.

Die Kürze der einzelnen Kapitel erschien mir anfangs noch sehr angenehm, weil der Leser dadurch sehr schnell alle Beteiligten kennenlernen kann, jedoch wurden sie zwischenzeitlich für mich persönlich ein wenig zum Problem: Zum einen hatte ich durch diverse Zeitsprünge an manchen Stellen das Gefühl, Meier möchte die Geschichte „mit Gewalt“ vorantreiben, zum anderen fehlte es mir leider an einigen Stellen an Tiefgang. Es wird durch die Ereignisse durchgaloppiert und schon im nächsten Kapitel scheint es häufig wieder um ganz andere Angelegenheiten zu gehen. Zwar gab es durchaus einen roten Faden, jedoch wurden für meinen Geschmack die Gedanken und Gefühle teilweise zu oberflächlich behandelt, wenn man bedenkt, wie gravierend die Ereignisse in das Leben aller einschneiden.
Gut gefallen hat mir hingegen, dass auch Ricardas Tochter eine nicht unerhebliche Rolle spielt, selbst ohne ein WG-Mitglied zu sein. Das hat gezeigt, dass es auch jenseits der 4 Wände noch ein Leben gibt.

Insgesamt wurde ich hier gut unterhalten, vermute aber, dass es kein Buch sein wird, das mir nachhaltig in Erinnerung bleiben wird, was ich schade finde, da die Thematik vermutlich immer mehr an Aktualität gewinnen könnte.
Eine Leseempfehlung kann ich daher nur teilweise aussprechen: Für diejenigen, die in die Thematik „Alters-WG“ hineinschnuppern möchten, ist es sicher ein unterhaltsamer Anfang. Aber sonderlich viel Tiefgang oder eine Beleuchtung der Grundfragen einer WG-Organisation (wie sieht es beispielsweise mit den Kosten aus? Gibt es einen Putzplan? Sonstige regeln? usw.) werden nicht unbedingt gefunden werden.