Kalter Krieg, Spionage und die große Liebe

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elke seifried Avatar

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„Seit ihrer Entstehung als Nachfolger des OSS setzte die Agency immer mehr auf einen Propagandafeldzug mit sanften Mitteln – und griff zunehmend auf Kunst, Musik und Literatur zurück, um ihre Anliegen zu betonen, dass das Sowjetsystem keine freie Meinungsäußerung zuließ, dass der Rote Staat selbst seine besten Künstler behinderte, zensierte und verfolgte. Die Taktik: mit allen Mitteln Kulturgüter in die Hände von Sowjetbürgern zu schaffen.“, um sie damit aufzurütteln. „Und dann kam Schiwago“ – „von Boris Pasternak, dem berühmten lebenden Schriftsteller der Sowjetunion geschrieben worden, und das Buch war im Ostblock wegen seiner Kritik an der Oktoberrevolution, und wegen seiner sogenannten subversiven Ansichten verboten.“. Die neue Geheimwaffe der Agency.

Im Roman wird man von einer Gruppe Stenotypistinnen empfangen, die nicht in irgendeinem Büro arbeiten, sondern in der Agency der CIA. Während für einige der Job als Tippfräulein mit der Hoffnung verbunden ist, eine Tür für einen besseren Job zu öffnen, gilt für: „Andere Frauen kamen nicht zur Agency, um ihre Laufbahn zu beginnen, sondern um sie zu beenden. Frauen, die vom Militärgeheimdienst OSS übrig geblieben waren, wo sie während des Krieges wahre Legenden gewesen waren, jetzt kaum mehr als überflüssige Relikte, die man in den Schreibpool oder ins Archiv oder an irgendeinen Schreibtisch in einer Ecke verbannt, wo sie nicht zu tun hatten.“. Für Irina, eine Tochter russischer Auswanderer, ist die Stelle so gut wie jede andere, um die Miete bezahlen zu können. Sie ahnt noch nicht, warum sie und die Tatsache, dass der Versuch ihres Vaters mit der Familie in die USA zu emigrieren in letzter Sekunde gescheitert und er inzwischen tot ist, für die Agency und ihre weitere Laufbahn von Bedeutung ist.

Dann darf man mit einem Zeitsprung sechs Jahre zurück und nach Moskau reisen, um Zeuge zu werden, wie Olga, die Muse und Geliebte von Boris Pasternak festgenommen wird. Der Roman ist längst noch nicht fertig, doch das Interesse daran schon viel zu groß. Das System kann weder durch Zugeständnisse noch durch Gulag Olgas Loyalität Boris gegenüber brechen und ihr Informationen über den Roman entlocken. Aus fünf Jahren Haft werden nach Stalins Tod mittels Amnestie drei und als der Autor seine Muse zurückhat, bekommt der Roman endlich auch seine letzte Zeile. Für Olga glücklich darüber, dass sie nicht länger nur Geliebte neben der Ehefrau ist, sondern auch all seine geschäftlichen Angelegenheiten, die mit seinem Schreiben zu tun haben, übernehmen darf, beginnt ein Kampf um die Veröffentlichung des Romans.

Als Leser darf man dann zeitlich gleichauf abwechselnd in den Osten und den Westen blicken, Zeichen des kalten Krieges, der Kampf um die Veröffentlichung des Romans, Spionagetätigkeiten, und bekommt die Geschichte hauptsächlich aus Frauenperspektive berichtet. Irina, die Stenotypistinnen und Olga erzählen alle mittels Ich-Perspektive, was mir gut gefallen hat. Klar Olga ist Boris Muse und Geliebte, da gehört auch eine Liebesgeschichte mit vielen Höhen, Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen dazu, und auch um Irina, deren Leidenschaft für die Spionage richtig ansteckt, entspinnt sich eine Romanze, die Stoff für die Autorin und ihren Roman liefert.

Gut hat mir gefallen, wie die Autorin die Rolle der Frau in dieser Zeit darstellt, was vor allem bei den Frauen in der Agency der CIA deutlich wird. „Dieselben Finger, die früher einmal den Abzug betätigt hatten, schienen nun besser für die Schreibmaschinen geeignet zu sein.“., im Krieg noch für den OSS so bedeutend, werden gut ausgebildete Frauen mit grandiosen Schulleistungen plötzlich zu Schreibkräften degradiert, die leitenden Stellen gehen, ganz unabhängig ob kompetent oder nicht, natürlich an die Männer. Nach außen so unbedeutend, so unterschätzt, so für den männlichen Erfolg missbraucht, wird hier aber gezeigt, wie sie im Untergrund agieren und auch Fäden zusammenhalten können: „ Diese Männer glaubten, dass sie mich ausnutzen, doch es war genau umgekehrt; meine Macht lag darin, dass ich ihnen das Gegenteil vorgaukelte.“ Mit Olga wird auch ein Bespiel gesetzt, welch große Opfer sie bereit sind zu erbringen.

Interessant, stellenweise sogar auch durchaus amüsant fand ich die Darstellung vom „Wettlauf im All, beim atomaren Wettlauf und beinahe jedem anderen Wettlauf“, für den gilt, dass sie „viel weiter hinter den Sowjets herhinkten, als wir gedacht hatten.“ So darf man in der Agency z.B. den Start von Sputnik I und II und die Reaktionen, die von großer Geschäftigkeit und Entsetzen der leitenden Angestellten, bis hin zu humorvollen Versuchen mit selbst gebastelten Verstärkern fürs Radio mit dem Satelliten Kontakt aufzunehmen reichen, miterleben.

Doktor Schiwago, den Namen habe ich im Ohr kann mich auch gut daran erinnern, dass meine Eltern über diesen Film viel geredet haben, als ich klein war. Ich muss zu meiner Schande allerdings gestehen, dass ich weder den Roman noch den Film kenne, deshalb konnte ich auch ziemlich unvoreingenommen an die Geschichte herangehen. Wenn man sich keine zentrale Bedeutung des Buches und Detailwissen zu dessen Entstehung und Bedeutung erwartet, so wie ich das tat, wird man hier von der Autorin auf keinen Fall enttäuscht. Wenn man sich dazu noch auf in meinen Augen gut gemachte Romanzen einlassen und für, mit einer gehörigen Portion Fiktion unterhaltsam verpackte, Fakten zum Kalten Krieg begeistern kann, kann man hier wie ich gebannt lesen und bekommt gelungene Unterhaltung.

Der flüssig, durchaus einnehmende Schreibstil der Autorin hat mir von Anfang an sehr gut gefallen. Ihr gelingt es durch erschreckende Szenen zu berühren und zu entsetzen. Da wird schon mal von erfrorenen Zehen berichtet, die in den Schuhen steckenbleiben, als Olga gemeinsam mit anderen Frauen zu ihrem Umerziehungslager in Potma transportiert wird oder von Nonnen, die tagelang mit nackten Knien auf felsigem Untergrund verharren müssen. Ihr gelingt es auch gut die Atmosphäre einzufangen und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Besonders habe ich da z.B. noch Irinas ersten Spionagetest im Kopf, herrlich unbedarft, aufgeregt und dann völlig im Erfolgsrausch. „Eine Blockade, die ihm Angst machte, so sehr, dass es ihn wie Nadeln in der Brust stach, Schließlich wurden aus den Nadeln Messer,“ viele treffende Bilder verstärken diesen Effekt.

Die Charaktere sind gelungen dargestellt, nur um zwei Beispiele auszuwählen: Am meisten Sympathien hatte ich sicher für Irina, die bodenständig ist, sich ihrer Wichtigkeit nicht bewusst, herrlich natürlich. Ich habe mich mit ihr gefreut, konnte mit ihre die zunehmende Begeisterung für Spionagetätigkeiten und auch die Schmetterlinge im Bauch fühlen. Olga ist für mich eher Typ interessante Frau mit vielen Facetten, keine die man sich zur Freundin wünscht. Für Boris tut sie alles, ist sie bereit alles zu geben, sogar ihre Kinder lässt sie dafür im Stich, was mir persönlich einen Stich versetzt hat. „Einmal hörte ich zufällig, wie Mitja meine Mutter versehentlich Mama nannte, und anstatt es als Verrat zu empfinden, verspürte ich Erleichterung.“ Gleichzeitig bewundere ich aber auch ihren Einsatz für ihre große Liebe und den Roman, bei dem sie beweist, wie stark Frauen sein können.

Alles in allem hatte ich, mit nicht mehr Erwartungen als gute Unterhaltung und einige gut verpackte Fakten zum Kalten Krieg hier wirklich fesselnden Lesestoff, der auch noch fünf Sterne von mir bekommt.