Üppiges Südstaaten-Drama

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buchdoktor Avatar

Von

Gertrude stand im Sumpf irgendwo bei Branchville/Alabama einem riesigen Alligator-Weibchen gegenüber, das seine Jungen verteidigte. Auch Gertrude hätte ihre Töchter beschützen müssen, doch durch die Wirtschaftskrise zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und den Alkoholismus von Vater Alvin steht die Familie Pardee kurz vor dem Verhungern. Gertrude kann seit ihrer Kindheit mit Waffen umgehen – und sie schießt. Zwei ihrer Töchter hat sie bereits bei ihrem Bruder gelassen, der aber niemanden mit durchfüttern kann. Bruder Berns hat Fäden geknüpft für Gertrude, sie könnte Arbeit in einer Näherei finden und in das bescheidene Arbeiterhäuschen ihrer verstorbenen Vorgängerin an der Nähmaschine ziehen. Doch in den Häuschen von Shag Rag haben bisher immer nur Schwarze gelebt …

Die Näherei gehört zur Plantage der Familie Coles, die durch eine wiederkehrende Baumwollkäferplage kurz vor der Pleite steht. Annie Coles hat eigenes Vermögen, das sie laut Vertrag nur ihren Kindern vererben darf. Ihr Mann Edwin müsste offiziell einen Kredit bei seiner Frau aufnehmen, um seine Plantage zu retten – in den 20ern, in den amerikanischen Südstaaten!! Die Töchter der Coles haben sich bereits vor Jahren von ihren Eltern losgesagt, und die Söhne entwickelten sich anders, als Edwin Cole es gern hätte.

Gute Seele im Haus der Coles ist das schwarze Hausmädchen Retta (Oretta) Bootles, die kocht, organisiert, Annie Geburtshilfe bei der Geburt ihrer Kinder leistet und die Kinder der Herrschaften praktisch aufgezogen hat. Die Plantagenbesitzer können sich drauf verlassen, dass sie im hohen Alter vom schwarzen Personal gepflegt werden. Umgekehrt funktioniert die Vereinbarung allerdings nicht. Falls Retta im Alter schwächer würde oder Pflege bräuchte, muss sie damit rechnen, vom Hausherrn vor die Tür gesetzt zu werden – auch wenn der nur auf Pump vom Vermögen seiner Frau leben würde. Und dann muss es im Haushalt noch eine Person mit zu ungesundem Interesse an kleinen Kindern geben.

Wie Edwin die Plantage auf Tabakanbau umzustellen versucht, wie Sohn Lonnie aus der ehemaligen Näherei für Futtersäcke ein erfolgreiches Modeatelier macht – und wie die kinderlose Retta plötzlich für einen Schock kleiner Mädchen zu sorgen hat, das lässt Deb Spera in drei deutlich unterscheidbaren Stimmen von drei Frauen unterschiedlicher sozialer Schichten erzählen. Als liebenswerte Nebenfiguren tauchen der Hausarzt der Familie auf und Mrs Walker, deren Platz an der Nähmaschine die Pardees vor dem Verhungern retten könnte.

Die Perspektiven weißer Plantagenbesitzer, verarmter Weißer und des schwarzen Dienstpersonals (dessen Eltern oft noch Sklaven waren) vermittelt die Autorin glaubwürdig und mit einer Fülle an Details. Retta beim Organisieren des großen Haushalts und ihrer Beziehung zu ihrem geliebten Odell bin ich ich mit großer Anteilnahme gefolgt.

Deb Spra hatte beim Schreiben ihres üppigen Südstaaten-Dramas die Figur ihrer Großmutter und deren Geschichten aus den Südstaaten im Hinterkopf. Sie siedelt die Handlung u. a. in einer real existierenden Arbeitersiedlung an und lässt mit Clelia McGowan eine bekannte Sufragette auftreten. Schließlich müssen all ihre Figuren einen Strauß an biblischen Plagen erleiden: Feuer, Wasser, Todesfälle, die von Singvögeln vorher angekündigt werden, Seuchen, Schlangen, rauflustige Alligatoren, Stechmücken, und nicht zuletzt gewalttätige Ehemänner. Der Erzählton balanciert oft haarscharf am Pathos vorbei, durch die Ichperspektive der drei Frauen kommt man als Leser jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.