Faszinierend, beeindruckend, ein definitives Lieblingsbuch!

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laberlili Avatar

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„Als der Himmel uns gehörte“ beginnt eher ein wenig diffus: Man lernt Jennifer kennen, Tochter eines tödlich verunglückten Wundergeigers, Stiefkind und Nichte eines bekannten Komponisten, die aber völlig unmusikalisch ist und sich stattdessen vollends dem Laufen verschrieben hat. Dabei hatte ihre Sportbegeisterung für mich anfangs etwas von: „In meiner Freizeit laufe ich so wahnsinnig gerne, dass ich nur in einem Nebenjob als Kellnerin tätig bin, damit ich mehr Zeit zum Laufen habe.“ Zudem wird erwähnt, dass ihr Trainer ihre ständigen Runden durch den Park strikt ablehnt, da er meint, der Untergrund dort sei kontraproduktiv für Profiläufer. Dass Jennifer trotzdem regelmäßig dort lief, fand ich nun noch ein wenig wunderlich, da so betont wurde, dass sie unbedingt zu Olympia 2012 wollte. Ihre angebliche Verbissenheit und ihre Laufrituale, konträr zu den Anweisungen des Trainers, schienen mir nun gar nicht zusammenzupassen.
Weiterhin irritierte mich gleich anfangs Jennifers Verblüffung, als sie von einem Fremden auf die Olympiaerfahrungen ihrer Urgroßmutter hingewiesen wurde bzw. als ihre Mutter unerwartet erwähnte, diese sei doch Deutsche. Dabei wusste Jennifer aber zumindest, dass ihre Uroma sich stark im Behindertensport engagierte und in diesem Bereich auch eine eigene Stiftung besaß, was Jennifer nun als völlig unwesentlich empfand, was ich wiederum als völlig ignorant empfand: Jennifer war nun bereits Anfang 20, hatte sich völlig dem Sport verschrieben, aber sie hatte in ihrem ganzen Leben nicht einmal nachgehakt, was hinter dem Einsatz der Uroma steckte, welche mehr als eng mit den Paralympics verbunden war?
Ohnehin wurde ich mit Jennifer bis zuletzt nicht so recht warm.
Allerdings erzählt „Als der Himmel uns gehörte“ ab dem Zeitpunkt von Jennifers Besuch bei Alberta vornehmlich die Lebensgeschichte der Urgroßmutter, von ihrer Geburt bis ca. in die 1950er hinein. Diese Geschichte ist nur ab und an von Kapiteln aus der Gegenwart unterbrochen, in denen kurz erzählt wird, wie Jennifer die Biografie der Uroma nun empfindet und auffasst. Das sind aber eher Momentaufnahmen, hauptsächlich konzentriert sich der Roman doch darauf, die Geschichte der Alberta Bernhardt abzubilden.
Dies ist eine sehr spannende und auch facettenreiche Geschichte, mit vielfältigen Figuren, die nicht immer nur sympathisch oder nicht immer nur fies sind, sondern authentisch wirken: Auch Albertas Verhalten war sicherlich nicht immer tadellos, in einigen Szenen war mir auch diese Hauptfigur arg zuwider.
Aber dieser „damals“-Bericht hatte ohnehin alles an Gefühlsmomenten aufzubieten, was man sich nur so vorstellen kann und in der Zeit des Nationalsozialismus fielen einige Szenen natürlich umso drastischer und dramatischer aus, was sicherlich auch daran liegt, das man als Leser heutzutage weiß, was nach den Olympischen Spielen 1936 in Berlin noch erfolgte, während Alberta als junge Sportlerin ebenso wie ihr als Sportjournalist und Radiomoderator tätige Vater und nicht zuletzt wie auch viele weitere Angehörige ihres Umfelds daran glaubten, dass Hitler mitsamt seiner Ideologien nur eine temporäre Erscheinung wäre, dass die Olympischen Spiele doch zeigen würden bzw. gezeigt hätten, dass das Schlimmste längst vorbei wäre. Niemand wollte daran glauben, dass Olympia 1936 nur eine Inszenierung der Nazis war, die die ganze Welt eben an das „alles nicht so schlimm“ glauben lassen sollte.
Ihre Familie und Alberta wurden mehrfach zur Emigration aufgefordert, welche sie als überflüssig abtaten, wer emigrierte, tat es ihrer Ansicht nach überhastet.
Parallel zu Albertas Geschichte werden auch die Biografien des Giselher Mehrings sowie vom deutschen Reiter Johannes und seinem englischen Konkurrenten James angeschnitten, wobei die letzten Beiden stetig um Albertas Gunst buhlten, während Ersterer vom Konkurrenten Johannes‘ zu quasi seinem Vorgesetzten wurde, einem Mitläufer der Nazis.

Einen überzeugten Nazi findet man in den Reihen der „Als der Himmel uns gehörte“ tragenden Figuren nicht, dabei sind aber auch die Wenigsten einfach nur Mitläufer und im Widerstand engagiert sich auch niemand so recht: Man lässt die Zeit eher lethargisch an einem vorbeiziehen, darauf hoffend, dass sie bald vorbei sein und einem nichts antun möge. So schließen sich teils bereits anfangs „arische“ Charaktere mit angeheirateter jüdischer Verwandtschaft und mit als Halb- oder Vierteljuden geltenden Nachkommen den Nazis an, weil sie darauf vertrauen, dass die Machthaber ihre Familien und sie schützen würden, haben sie sich im Nationalsozialismus nur verdient genug gemacht.
Auch Alberta wird sich später vorwerfen, sich (auch aus ähnlichen Gründen) als Sportidol von den Nazis haben vorführen zu lassen und ihren Bekanntheitsgrad nicht ausgenutzt zu haben, um gegen die Nazi-Ideologie zu intervenieren, die zudem dem olympischen Gedanken doch völlig widersprach. In dieser Hinsicht ist „Als der Himmel uns gehörte“ zwischen den Zeilen mahnend (vonwegen: „Hätten sich damals alle, die die Nazis als vergängliche Spinner abgetan haben, von vornherein klar gegen sie ausgesprochen, wäre es wohl nie so weit gekommen, wie es kam. Hätte man sich geschlossen gegen sie gestellt statt sich allein für sich zu vergraben, wäre der Nationalsozialismus an dieser Mauer zerschellt“); diese ruhig vorgebrachte Erkenntnis wirkt aber umso nachdrücklicher nach. Man beginnt unmittelbar zu überlegen, welche Chance zum Widerstand beispielsweise die Olympischen Spiele in Berlin 1936 geboten haben könnten, wie sehr sich der Verlauf der Geschichte verändert haben würde, hätten sich alle nur ein klitzekleines bisschen anders verhalten.
Aber trotz des hintergründig vorgebrachten tiefgründigen philosophischen Moments ist „Als der Himmel uns gehörte“ in erster Linie doch ein Unterhaltungsroman, der einfach nur die Geschichte eines sportbegeisterten Mädchens wiedergibt, deren Olympia-Euphorie sie hat Scheuklappen aufsetzen lassen, die sie die Zeichen der unsäglichen Zeit, in der sie erwachsen werden musste, nicht hat wahrnehmen lassen.
Ich fand Albertas Biografie unglaublich interessant, beeindruckend, fesselnd – und konnte zuletzt erst recht nicht nachvollziehen, dass Jennifer sich nie auch nur annähernd damit auseinandergesetzt hatte, welche Sportstiftung ihre Urgroßmutter eigentlich genau betrieb.

Ich fand es nun zwar eine nette Idee, einen Bogen von Alberta, die in ihrer Heimatstadt bei den Olympischen Spielen antreten wollte, zu ihrer Urenkelin zu spannen, die dasselbe Ziel hatte, aber ganz ehrlich: Ohne Jennifer, als rein „historischer“ Roman, hätte mir „Als der Himmel uns gehörte“ ebenso gut gefallen.
Den „Jennifer und ihre Nerven“-Konflikt fand ich eher überflüssig; manches Mal hat es mich sogar genervt, wurde Albertas Geschichte wieder von Ausflügen in die Gegenwart unterbrochen.
Nichtsdestotrotz konnte sich „Als der Himmel uns gehörte“ rein Albertas Geschichte wegen sich als eines meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre herauskristallisieren; diesen Roman empfehle ich wirklich gerne weiter!