Geschichte über das Vergessen

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anni1609 Avatar

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**Inhalt:**

Helen Nesta ist schwer demenzerkrankt und kann deshalb nicht mehr allein zu Hause leben. Sie hat einen Sohn, Mauro Nesta, der von der Stationsleitung des Pflegeheimes, Lindita Bardhecay, benachrichtigt und um Auflösung der Wohnung von Helen gebeten wird. Bei Ankunft in der Heimat wird Mauro bereits bewusst, dass er sehr wenig vom Leben seiner Mutter weiß. In der Wohnung von der demenzkranken Helen hinterlassene Symbole und Spuren kann er zunächst nicht deuten, aus Handlungen seiner Mutter wird er nicht schlau und beschließt somit, Ermittlungen über die Vergangenheit der Mutter anzustellen. Er ahnt dabei nicht, dass ein Freund der Mutter aus der Vergangenheit ihm bereits auf den Fersen ist und seinerseits auch eine Begegnung plant. Im Rahmen des alljährlich stattfindenden Jugendfestes lichtet sich allmählich der Vorhang und Mauro kommt der Wahrheit endlich auf die Spur.

**Beurteilung:**

Der Hintergrund des Romans ist vor allem die Liebesgeschichte zwischen zwei Jugendlichen im Jahr 1956, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten stammen. Zudem sind die Nachwehen des 2. Weltkriegs durch politische Unruhen immer noch zu spüren. Vetternwirtschaften im Bürgeradel gehören zur Tagesordnung. Der Autor baut auf diesem Fundament die Handlung seines Romans auf, der zum Großteil in der Gegenwart, im Jahr 2012, in einem kleinen Schweizer Ort mit schöner Altstadt spielt. Die Vergangenheit spielt allerdings eine große Rolle. Urs Augstburger gestaltet den Ablauf sehr spannend, vor allem aufgrund wechselnder Erzählperspektiven. Grundsätzlich lässt er verschiedene Charaktere die Handlung aus der 3. Person schildern. Eine Ausnahme macht er, indem er die Gedanken von Helen aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin schildern lässt. Diese Gedanken sind zudem noch visuell durch kursiven Druck vom übrigen Text abgegrenzt. Der Leser erfährt über die verschiedenen Erzähler stets bruchstückhaft neue Informationen und Wendungen in der Handlung. Somit steigt beim Leser die Spannung auf den nächsten Abschnitt und damit auch die Spannung auf die Erzählperson, die folgen wird.

Der Aufbau des Romans ist schlüssig, vor allem dadurch, dass der Autor stets zum richtigen Zeitpunkt die für den Leser notwendigen Informationen bereitstellt, die zum Verstehen benötigt werden. In der Gegenwart ist der Roman zeitlich und auch inhaltlich chronologisch aufgebaut. Allerdings werden auch Zeiten aus der Vergangenheit geschildert, woraus zeitlich und auch inhaltlich Sprünge resultieren. Der Großteil des Romans findet während des Jugendfestes in der Altstadt des Schweizer Städtchens statt.

Die wichtigsten Personen des Romans sind Helen Nesta und ihr Sohn Mauro. Von besonderer Brisanz sind auch die Figuren Pius Kobelt, der Helen stets im Pflegeheim besucht, und Jakob Matter, der nach 50 Jahren in das Städtchen zurück gekehrt ist. Die Hintergründe und auch Zusammenhänge zwischen diesen Personen, werden dem Leser im Laufe der Handlung erläutert, natürlich zum Spannungsaufbau nur nach und nach.

Die Dialoge sind für den Leser gut nachvollziehbar und stets mit viel Inhalt versehen. Sie arten nicht aus und sind nie zu langatmig. Der Autor drückt sich während des gesamten Romans sehr gewählt aus. Es mutet fast einer lyrischen Sprache an. Er verwendet zur leichteren Verständlichkeit „normale Satzlängen“ und verzichtet auf Verschachtelungen. Der Großteil ist somit leicht verständlich. Einzig die Gedanken von Helen Nesta stellen für den Leser eine Schwierigkeit in Bezug auf das Verständnis dar.

Der Roman ist flüssig und leicht zu lesen. Die Spannung wird beim Leser von Beginn an aufrecht erhalten, da auch dieser gemeinsam mit Mauro stets neue Informationen über das Leben von Helen Nesta aufdecken möchte. Der Leser sympathisiert sehr schnell mit Mauro und würde ihm am liebsten behilflich sein bei seiner detektivischen Arbeit. Die verschiedenen Handlungsstränge, hervorgerufen durch die verschiedenen Erzählperspektiven, finden im Laufe der Handlung zueinander, bis sie am Ende des Romans komplett zu einem Strang verschmolzen sind. Überraschende Wendungen gibt es in dem Roman nicht viele, allerdings erfährt der Leser einige Überraschungen, die durch Mauro aufgedeckt werden. Größtenteils ist der Ablauf aber vorhersehbar, was nicht schlimm ist.

Das Ende des Romans ist für den Leser gut verträglich, obwohl es eher offen gehalten ist und es sich um kein Happy-End handelt. Trotzdem löst sich beim Leser die Anspannung, die sich auf den letzten Seiten entwickelt hat und er kann das Buch zufrieden zur Seite legen. Auf das Ende wurde von Seiten des Autors im letzten Teil des Romans sukzessive hingearbeitet.

Der Roman ist kein wirklicher Liebesroman, sonder eher in die Kategorie der anspruchsvollen Literatur einzuordnen. Er regt den Leser stark zum Nachdenken an. Es handelt sich nicht um die typische „Urlaubslektüre“.

Das Cover des Romans ist sichtlich gut ausgewählt worden und wunderschöne gestaltet. Die Bedeutung erschließt sich dem Leser allerdings erst im Laufe des Buches. Zu Beginn ist zudem ein Interview mit dem Autor abgedruckt, das auf den folgenden Roman einstimmt. Das Buch ist im Hardcover erschienen. Meiner Meinung nach ist die äußere Gestaltung rundum gelungen.

**Fazit:**

Ich würde diesen Roman uneingeschränkt weiterempfehlen – somit absolute Leseempfehlung!!!

Diese herzergreifende Geschichte über Mutter und Sohn, wobei der Sohn so viel Neues über das Leben der Mutter erfährt, ist ein absolutes Muss für jeden Bücherfan. Zudem ist dieser Roman überhaupt nicht kitschig, geht aber trotzdem ans Herz!