Kindliche Fantasiewelten

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timphilipp Avatar

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Die 14jährige Bénédicte findet 1976 ihre schwer depressive Mutter Aimée, eine bekannte Malerin, blutüberströmt in ihrem Atelier, wo sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Ohne Mutter zieht der Vater mit ihr und dem kleinen Bruder Marcel in eine westfälische Kleinstadt, wo er die Leitung der psychiatrischen Klinik übernimmt. Bénédicte und Marcel bleiben sich selbst überlassen, bis eine Haushälterin ihren Dienst aufnimmt, Marcel in merkwürdigen Zwillingsbrüdern Freunde findet und sich Bénédicte mit der hochbegabten Susi anfreundet. Über Aimées Verbleib aber bleibt sie im Ungewissen - Ist sie in einem Sanatorium, wie es der Vater ausweichend erklärt? Ist sie tot, wie es getuschelt wird? Ist sie gar Mitglied der RAF, wie es ihr Susi glauben machen will?


Trotz seines Umfangs mit 491 Seiten lässt sich das Buch gut und schnell lesen. Die in der Ich-Perspektive erzählende Protagonistin zieht den Leser mit ihrer traurigen Familiengeschichte in den Bann. In den gut eineinhalb Jahren, von denen sie handelt, verarbeitet Bénédicte auf ihr eigene Weise mit viel Fantasie das Trauma des Suizidversuchs ihrer geliebten Mutter. Mich hat das Buch zum Nachdenken gebracht über die Frage, ob Erwachsene ihren Kindern nicht vielleicht besser die volle Wahrheit sagen sollen über eigene Erkrankungen, seien sie physischer oder psychischer Natur wie im Falle von Bénédictes Mutter. Gerade Bénédicte beweist, dass sie stark genug ist, damit umzugehen. In formeller Hinsicht hat mir gefallen, dass französische Vokabeln eingestreut sind, deren sich die Figuren aufgrund ihrer französischen Wurzeln bedienen. Sie passen gut zu dem poetisch anmutenden Schreibstil. Das Ende mit seiner etwas überraschenden Wendung kommt vielleicht etwas zu abrupt.