Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre in der Schule werden!

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fannie Avatar

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Die Autorin Liz Murray beschreibt in „Als der Tag begann“ ihre eigene Geschichte. Sie erzählt sie authentisch und sehr berührend. Dieses Buch hat mich sehr bewegt, mich oft sprachlos gemacht und mir an einigen Stellen eine Gänsehaut verursacht. Es ist eine Geschichte, die man nicht glauben will, wenn man am Ende des Buches angekommen ist – aber sie ist wahr:

Liz Murray hatte beileibe keine einfache Kindheit. Beide Eltern sind drogensüchtig, die Wohnung verwahrlost zusehends und eine Struktur gibt es im Leben von Liz und ihrer älteren Schwester Lisa überhaupt nicht. Die kleine Liz hockt nächtelang allein vor dem Fernseher oder steht sorgenvoll am Fenster, um sicherzugehen, dass ihren Eltern bei deren nächtlichen Drogeneinkäufen nichts zustößt. Der Kühlschrank ist so gut wie fast immer leer, denn ihre Eltern verprassen die Sozialhilfeschecks für Kokain und Kneipenbesuche. Liz ist schon in ihrer frühesten Kindheit mit dem quälenden Hunger vertraut – und das im reichen Amerika in den Achtzigern! Ihre Fragen muss sich Liz selbst beantworten, denn ihre Eltern sind ständig zugedröhnt und oft genug schaut sie ihnen bei ihren bizarren Drogen-Ritualen in der heimischen Küche zu.

 

Als Liz schließlich alt genug ist, um die Schule zu besuchen, schwänzt sie diese mit dem Einverständnis ihrer Ma immer öfter und schaut mit ihr lieber Gewinnspielshows im Fernsehen an. Schwester Lisa hingegen ist ehrgeizig, treibt Liz recht erfolglos dazu an, die Schule wieder zu besuchen und lehnt sich im Hinblick auf den Mangel an einfach ALLEM gegen ihre Eltern auf. Liz allerdings ist ein „braves Mädchen“, das ständig darauf bedacht ist, die Aufmerksamkeit und die Liebe der Eltern zu erhaschen und festzuhalten. Sie spürt instinktiv, dass ihre Eltern sie aufrichtig lieben – und hat darüber hinaus noch Verständnis dafür, dass sie es ihr wegen der verheerenden Sucht nicht wirklich zeigen können. Ich litt mit dem kleinen, einsamen Mädchen mit und fragte mich unwillkürlich: Wieviel kann ein Kind ertragen? Warum schreitet niemand ein? Warum hilft der Kleinen niemand? Liz’ fast blinde Mutter leidet zudem an Schizophrenie, was ihr regelmäßige Aufenthalte in der Psychiatrie beschert. Mehrere Male scheitert Mutter Jean Murray daran, nach ihren Entlassungen drogenfrei zu bleiben. Schließlich konfrontiert sie ihre Tochter Liz damit, dass sie sich durch den Gebrauch unsauberer Spritzen mit HIV infiziert hat.

 

Kurze Zeit später verlässt die Mutter gemeinsam mit der älteren Tochter Lisa die Wohnung und zieht zu Brick, mit dem sie auf ein besseres Leben hofft. Liz bleibt allein mit ihrem Dad zurück und besucht weiterhin nur äußerst sporadisch die Schule. Als sie 13 ist, kommt sie in ein Erziehungsheim – eine sehr schlimme Zeit für sie bricht an, die sie regelrecht traumatisiert. Nie wieder will sie freiwillig in so ein Heim zurück und gibt später, als der unsympathische Lebensgefährte ihrer Mutter, Brick, das Sorgerecht für Liz übernimmt und sie eine ganze äußerst konfliktträchtige Weile bei ihm gemeinsam mit Lisa und ihrer Mutter wohnt, dem Leben auf der Straße gegenüber einem Erziehungsheim den Vorzug.

 

Gemeinsam mit ihrer Freundin Sam haust sie abwechselnd bei Freunden, das leider vertraute Hungergefühl kehrt zurück und sie droht gänzlich abzurutschen. Während dieser Zeit lernt sie den zwielichtigen Carlos kennen, der den Mädchen in verschiedenen Motels Unterschlupf und Essen gewährt, und verliebt sich in ihn. Es stellt sich jedoch heraus, dass Carlos ein Drogenhändler und –konsument ist. Irgendwann hat Liz endlich genug davon und begibt sich zurück auf die Straße – diesmal ganz allein. Sie lebt in Hausfluren und abwechselnd bei Freunden, schläft in der U-Bahn und stiehlt Lebensmittel im Supermarkt, um ihren Hunger zu bekämpfen.

 

Ich hatte beim Lesen dieses Buches das Gefühl, als hätte Liz nie eine wirkliche, ganz normale Kindheit gehabt – sie war stets viel zu jung für all die schlimmen Erfahrungen, die sie durchlebte. Beeindruckt hat mich die Tatsache, dass Liz Murray niemals selbstmitleidig über sich schreibt oder gar andere für ihr verkorkstes, junges Leben verantwortlich macht.

 

Sie fordert sich selbst eine Menge ab – und das beweist sie sich und ihrer Umgebung, als sie nach dem qualvollen Aids-Tod ihrer Mutter den Entschluss fasst, wieder zur Schule zu gehen. Sie ist eine Kämpferin und wirkte für mich in all ihrer Entschlossenheit dennoch wie der gegen Windmühlen kämpfende Don Quichotte – sollte eine verwahrloste Obdachlose denn wirklich die Chance bekommen, ihren Highschool-Abschluss zu machen? Sie erkämpfte sie sich – nach vielen Ablehnungen an anderen Schulen an der Humanities Preparatory Academy, die ein ganz anderes Ausbildungssystem als herkömmliche Schulen hat und Liz zu Höchstleistungen anspornt. Immer noch ohne feste Bleibe, lernt sie verbissen und mit irrsinnig viel Ehrgeiz. Hier hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Sie schafft es!

 

Es war eine alles andere als einfache Zeit für sie, die allein zurechtkommen musste – ohne Familie, ohne ein Dach über dem Kopf – aber mit Freunden als Stütze, auf die sie sich immer verlassen konnte. Diese innigen Beziehungen und verständnisvolle Lehrer, die sie fördern, bilden letztlich das Fundament dafür, dass Liz die Highschool erfolgreich abschließt, sich erfolgreich um ein Stipendium bewirbt – und zu guter Letzt in Harvard angenommen wird. Insofern wirkt ihre Geschichte fast wie ein Märchen, doch sie hat sich alles hart erkämpft, hat allen Widerständen und Ablehnungen zum Trotz immer weiter gemacht, sich an ihrem eigenen Schopf selbst von ganz unten hochgezogen. Geholfen hat ihr dabei das Bild einer Hürdenläuferin – sie überwand mit viel Kraft und Aufwand alle Hürden, bis sie sich schließlich ein ganz normales Leben erkämpft hatte.

 

Das Buch ist sehr einfühlsam geschrieben. Die Autorin lässt darin keine Details aus – so beschämend sie vielleicht auch heute auf sie wirken mögen. Liz Murrays Botschaft ist klar: Wenn man nur fest genug an das glaubt, was man wirklich will und alles dafür tut – dann können (zumindest manche) Träume tatsächlich wahr werden!

 

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Rezensionen: Eine Art von Kinderkrankheit, die die neugeborenen Bücher befällt. Georg Christoph Lichtenberg :-)

Alle meine Rezensionen und Leseeindrücke findet ihr auch unter http://buchstabenfaengerin.wordpress.com