Das Trauma der Kriegskinder

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gabriele 60 Avatar

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Bisher hatte ich von John Boyne nur „Das Vermächtnis der Montignacs“ gelesen, was mich mäßig begeisterte. Doch inzwischen habe ich so viele begeisterte Stimmen zu dem Autor vor Augen bekommen, dass ich mich noch einmal an ihn heranwagte. Diesmal jedoch als Hörbuch, da meine Lesezeit etwas knapp war und das Zuhören auch mal nebenbei geht. Nun kann ich die begeisterten Simmen verstehn!


In diesem Buch erzählt Gretel aus ihrem Leben. Geboren kurz vorm zweiten Weltkrieg verbrachte sie zusammen mit ihren Eltern einige Zeit in Auschwitz. Allerdings nicht als Jüdin, sondern als Tochter eines Lagerkommandanten. Nach dem Krieg floh sie zusammen mit ihrer Mutter nach Frankreich, wo sie aber entlarvt wurden. Immer wieder versuchte sie, festen Boden unter den Füßen zu bekommen, reiste von einem Ort zum nächsten und rechnete damit, aufs Neue entlarvt zu werden.

Inzwischen lebt die über neunzigjährige Witwe in einer feudalen Wohngegend in London und erinnert sich an ihr von Angst geprägtes Leben. Ihr Sohn würde gerne die Wohnung verkaufen, um mit dem Erlös seine Schulden zu begleichen. Doch sie weigert sich, in eine Seniorenresidenz zu gehen. Stattdessen freundet sie sich mit dem Sohn ihres neuen Nachbarn an. Mit Entsetzen bemerkt sie, dass der Neunjährige misshandelt wird und setzt sich für das Kind ein – was sie letztlich in große Bedrängnis bringt …


Der Aufbau dieses Buches in mehreren Zeitebenen ist äußerst gelungen. Wie ein Puzzle setzt sich die Geschichte zusammen. Die Charaktere sind gut herausgearbeitet, so dass ich Gretels Schuldgefühle angesichts ihrer Vergangenheit gut nachvollziehen konnte - obwohl sie damals ein Kind von zwölf Jahren war. Dass das Grauen aber nicht nur damals stattfand, sondern bis in die heutige Zeit reicht, wurde auch deutlich.


Elisabeth Günter als Sprecherin war eine gute Wahl. Sie intoniert mit angenehmer Stimme Gretels Gedanken und Erinnerungen ebenso wie die anderer Redner, mit denen Gretel zu tun hatte.


Dieses Buch hat mich neugierig gemacht auf „Der Junge im gesteiften Pyjama“, in dem das gleiche Thema behandelt wird und für mich wie ein Vorgänger zu diesem Buch wirkt.

Gerade zu einer Zeit, in der Hochbetagte wegen ihrer lang zurückliegenden Vergangenheit vor Gerichte gezerrt werden, finde ich es gut, die Welt aus deren Sicht erzählt zu bekommen.