Eine Frage über Schuld

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
dicketilla Avatar

Von

Ich war bereits über das Buch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ fasziniert. Das Grauen des Holocaust aus der Sicht eines 9-jährigen Jungen erzählt, Sohn des Lagerkommandanten von Auschwitz. Für mich beeindruckend erzählt.
Das neue Buch bereits durch seine Covergestaltung daran erinnert.
So war ich natürlich sehr neugierig, wie John Boyne seine Geschichte danach schreiben würde.
Diesmal geht es um Gretel, die Schwester von Bruno, damals 12 Jahre alt.
Als 15-Jährige flieht sie mit ihrer Mutter aus Deutschland.
„Täglich kamen neue Details über die Vorgänge in den Lagern ans Licht, und Vaters Name wurde zum Inbegriff von Verbrechen abscheulicher Natur.“
Sie lebten unter falschem Namen in Paris. Drei Jahre nach dem Tod ihres Bruders und sechs Monate nachdem ihr Vater erhängt wurde. Diese ewige Lüge in sich, ihre eigene Familie im Dunkeln lassend, zimmerten sie sich ein neues, anderes Leben. Doch die Angst enttarnt zu werden war stets an ihrer Seite.

Gretel, bereits über 90, lebt seit Jahrzehnten in ihrer Londoner Wohnung. Dann zieht eine neue Familie unter ihr ein, mit ihrem 9-jährigen Sohn. Plötzlich kehrt die Erinnerung an ihren Bruder wieder zurück. Die alten Erinnerungen schleichen sich wieder ein. Eine Schuld, die bereits ihr ganzes Leben fest an ihr klebte.
John Boyne erzählt diese Geschichte von Kapitel zu Kapitel im Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart. So kann man Gretels Flucht von Beginn an, bis zum Leben in London verfolgen.
Er beschreibt ihren Weg in gewohnter meisterhaften Sprache, die ich so sehr an ihm mag. Auch seine Charaktere erwachen vor den Augen des Lesers, lassen die unterschiedlichsten Emotionen entstehen. Ich mochte die ältere Gretel sehr, die in ihrer verschlossenen Art, dennoch viel Empathie in sich verbarg. Ihr Leben durch viele Ereignisse geprägt wurde.

Der Leser muss sich die Frage von Schuld stellen. Kann man ein damals 12-jähriges Mädchen schuldig sprechen? Wie wäre der richtige Weg Gretels gewesen, hätte sie sich zu erkennen gegeben, in einer Zeit, in der der Hass gegenüber den Tätern zurecht unermesslich war. Hatte sie in Paris bereits diesen Hass am eigenen Leib erfahren müssen. Wäre auf ewig die Tochter des verhassten Lagerkommandanten geblieben.
Diese Frage ist sicher schwer zu beantworten.

„Ich redete mir ein, dass nichts davon meine Schuld gewesen sei, aber eine leise Stimme in meinem Kopf fragte, warum ich unter falschen Namen lebte, wenn ich doch so unschuldig war.“