Glauben und Unglauben in der Provinz

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Glauben und Aberglauben in der ostfriesischen Provinz kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In Helga Bürsters Roman Als wir an Wunder glaubten erzählt die Autorin von Kriegsheimkehreren, Aberglauben unter der Landbevölkerung und der Modernisierung, die allmählich sogar in Ostfriesland ihre Spuren hinterließ.

Unnenmoor, so heißt der Ort in der ostfriesischen Provinz, irgendwo in der Nähe von Leer. Dominiert wird er vom namensgebenden Moor, das seit Menschengedenken vor den Toren des Dorfes liegt. Moorleichen hat man daraus schon geborgen, aber auch Waffen, Munition und den ein oder anderen Pass, den die Menschen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs besser verschwinden lassen wollten, ehe die Alliierten kamen.

Nun liegt das Kriegsende schon ein paar Jahre zurück und allmählich normalisiert sich auch in Unnenmoor die Lage wieder, wenn auch nur ganz langsam. Die Armut ist überall noch zu greifen, viele Männer sind im Krieg geblieben – darunter auch der Vater von Betty, die mit ihrer Mutter Edith nun das gemeinsame Haus bewohnt. Dritter im Bunde ist der Journalist Theo, der mit Bettys Mutter in einem „Bratkartoffelverhältnis“ steht, das allerdings selbst auch in der Schwebe steht – schließlich könnte ihr Mann auf den heimischen Hof zurückkehren, auch wenn mit jedem verstrichenen Monat die Hoffnung sinkt.

Die Geister des Moors

Zuflucht findet Betty bei der alten Guste, die in einer windschiefen Kate im Moor haust und die Betty bei ihren Besuchen immer wieder mit mystischen Erzählungen von Moorgeistern, Töverschen und anderen Legenden unterhält. Es ist ein Glaube an die Urkräfte des Moors und der unsichtbaren Geister, der sich in den Erzählungen Bann bricht und der auf Betty sehr stark wirkt. Denn auch sie meint die Urkräfte des Moors in sich zu spüren, insbesondere als sie in einer verhängnisvollen Nacht der Anziehung des Moors folgt.

Auch den anderen Dorfbewohnern bleibt die Wirkmacht des Moors nicht verborgen, auch wenn sie diese eher als Aberglaube abtun. So wendet sich Ediths ehemals beste Freundin Anni nach Einflüsterung durch einen lokalen Strippenzieher, Spökenfritz geheißen, gegen ihre Freundin, da für sie Edith, ihre Tochter und auch Guste mit dunklen Kräften im Bunde zu stehen scheinen.

Während das Wirtschaftswunder auch langsam die ostfriesische Provinz erreicht, sorgt der Aufschwung allerdings nicht für eine Ausrottung dieses Aberglaubens, im Gegenteil. Während nun das Moor ausgetrocknet wird, um neue Straßen zu bauen, steht die Bevölkerung noch immer im Bann des (Aber)glaubens. Denn ein Arbeiter begeht Selbstmord und durch die Aufwiegelung des schon unter den Nationalsozialisten erfolgreichen Fritz nehmen die Spannungen zu, auf deren Höhepunkt Betty und ihre Mutter gar als Hexen tituliert werden – mit dramatischen Folgen.

Der Glaube im Mikrokomos Dorf

Als wir an Wunder glaubten blickt auf den Mikrokosmos Dorf und darauf, wie der Glaube nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs in ganz unterschiedlichen Facetten Anhänger fand. So beschreibt Helga Bürster die Versuche von Ediths ehemaliger Freundin Anni, die für ihren behinderten Sohn Heilungen bei allen möglichen Scharlaten sucht und die den abergläubischen Einflüsterungen des Strippenziehers Fritz erliegt.

Guste hingegen glaubt an die Naturkräfte und findet vor allem in der jungen Betty eine Verbündete, die die Kraft des Moors ebenso in sich zu spüren vermeint. Diese unterschiedlichen Aspekte verbunden mit einer Dorfgeschichte der Nachkriegszeit machen den Reiz dieses mit reichlich plattdeutschen Dialogfetzen versehenen Romans aus.

So zeigt Bürster neben dem multiperspektivischen Erzählen aus der Sicht Ediths, Bettys oder des Kriegsheimkehrers Josef auch den Aufschwung in der Provinz, der den großen Baumaschinen folgen sollte. Der Wirt, der einen Fernseher in die Dorfkneipe stellt, die neuen Häuser mit modernen Sanitäranlagen oder auch neckische Spielereien wie ein neuer Katalog für Ehehygiene, den die frühere Hausiererin nun unter die Leute bringt.

Fazit

Helga Bürster gelingt ein farbiges, stimmiges und eindrucksvolles Bild dieser Zeit, die trotz aller Modernität auch nicht von altem (Un)Glaube loskam. Das macht aus Als wir an Wunder glaubten eine lohnenswerte Lektüre, die mitnimmt nach Unnenmoor kurz nach dem Krieg.