Sommer 1989 in der Prager Botschaft

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Theresa Herolds aktueller Roman "Als wir nach den Sternen griffen" bedient sich der Wendezeit anno 1989 als Setting.

Wer kann sich nicht an den Satz des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher erinnern: Liebe Landsleute, wir sind gekommen, um Ihnen mitzuteilen…… Der Rest des Satzes ging schon in Jubel unter:“ dass heute Ihre Ausreise möglich geworden ist“

Es geht um die Sommermonate 1989 in der Botschaft in Prag. Theresa Herold hat das Buch aus der Sicht der Botschaftsmitarbeiterin Judith und des ausreisewilligen Fotografen und Vaters einer dreijährigen Tochter Tobias geschrieben. Judith ist knapp über 30 und seit einem Jahr in Prag angestellt. Sie ist ganz froh, wieder in Europa zu sein und findet die Entwicklungen unter dem neuen Generalsekretär des ZK der KPDSU, Michail Gorbatschow spannend. Alle Länder des Ostblocks beginnen sich langsam zu öffnen, Ungarn hat bereits die Grenzzäune zu Österreich entfernen lassen, die Tschechen lassen auch Ostdeutsche in die westdeutsche Botschaft eintreten, nur die DDR verharrt in ihrer Bewegungslosigkeit.

Die Stimmung in der Botschaft, die ab Juni 1989 immer voller wird, ist sehr gut beschrieben. Man hat das Gefühl, selbst dabei zu sein und sich zwischen Koffern, Taschen, Zelten, Kisten, Schreibtischen einen Weg zu bahnen. Über die katastrophalen hygienischen Bedingungen hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht, sie sind äußerst plastisch geschildert. Ganz anders, als es die feine Adresse des Palais Lobkowitz hätte erwarten lassen. Die Autorin hat die langsame Entwicklung bis zur Eskalation sehr gut eingefangen. Am Anfang waren es nur einzelne, die wirklich wagten, sich aufzulehnen. Vor allem waren es diejenigen, denen man das Leben schon lange schwergemacht hatte, die in Sippenhaft genommen worden waren oder die man benachteiligte, weil sie sich nicht an den vom Staat propagierten Programmen für Jugendliche oder Erwachsene beteiligten oder nicht in die Partei eintreten wollten. Für diese steht Tobias stellvertretend. Diese wenigen lösten einen Tsunami im Land aus, die Botschaften in Budapest, Warschau und Prag füllten sich mit Menschen, die der DDR den Rücken kehren wollten. Ab Spätsommer kamen dann in Leipzig die Montagsdemonstrationen dazu, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuten. Das Momentum für den Aufstand war einfach gegeben und es wurde genutzt. Am Beispiel der Prager Botschaft sieht man, dass es nicht mehr darum ging, zu verhindern, dass die Botschaft überquoll sondern ab einem bestimmten Zeitpunkt war klar, dass der Überdruck ein viel größeres Rad in Bewegung setzte und schließlich die DDR zur Aufgabe zwang.

Botschafter Herrmann Huber, den wir auch aus dem Buch kennen, hat in seinen Erinnerungen diese Sommermonate 1989 festgehalten und Theresa Herold scheint sich sehr daran orientiert zu haben. Fiktion ist die Geschichte des ostdeutschen Fotografen Tobias und seiner dreijährigen Tochter Jasmin sowie der Botschaftsmitarbeiterin Judith, die sich in der Botschaft kennen und lieben lernten. ( https://prag.diplo.de/cz-de/botschaft/-/2176350 ) Selbst die Schultütenaktion für die Erstklässler hat tatsächlich wie beschrieben stattgefunden.

Für mich war das Buch ein Highlight dieses Leseherbstes. Aus den Erinnerungen von Herrn Botschafter Huber erfahren wir, dass die Botschaft sich noch ein weiteres Mal so füllte und es zu weiteren Ausreisewellen kam, bis die DDR endlich nachgab. Für mich zeigte es, dass es Veränderungen nur von innen geben kann. Hätten sich nicht so viele Menschen gegen das Eingesperrtsein aufgelehnt, wäre es nicht zu diesem schnellen Ende gekommen.