Ednas fantastische Pilgerreise

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amara5 Avatar

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Es gibt Herzensdinge im Leben, die müssen noch in Angriff genommen werden, auch wenn das Leben fast zu Ende ist: Die fast 90jährige Edna verlässt ihr Haus mit gemütlichem Garten nur noch selten, schwelgt viel in der Vergangenheit. Dann liest sie wie immer ihre Zeitschrift und entdeckt auf einem Foto Jacob wieder. Mit ihm verbindet sie einen schmerzvollen, traumatischen Abschnitt im Kindesalter – beide waren verarmte Schwabenkinder, mussten weitab ihrer Heimat auf deutschen Bauernhöfen hart mitarbeiten und wurden auf „Viehmärkten“ begutachtet. Jacob hat seiner kleinen „Zimperliese“ Edna immer geholfen, ihre Freundschaft hat sie das Leid besser ertragen lassen – bis sie tragisch getrennt wurden und sich aus den Augen verloren haben. Nach den Blick in Jacobs Augen auf dem Foto steht für Edna fest: sie wird Jacob in Ravensburger Krankenhaus besuchen und hat sie sich dafür einen besonderen Weg ausgesucht: den harten über die Alpen, den sie schon als Schwabenkinder gegangen sind. Denn sie quält seit Jahrzehnten das schlechte Gewissen, will Buße tun: Sie glaubt, ein Versprechen gebrochen und Jacob im Stich gelassen zu haben.

„Aber dann, eines Tages, wenn man es am wenigsten erwartete, geschah etwas, was einen zurückbrachte. Und dann war es, als wäre man nie weg gewesen. Als zähle die ganze Zeit, die seit diesem Augenblick vergangen war, überhaupt nichts mehr.“ S. 141

Kurzerhand packt sie ihren kleinen Koffer und ihren geliebten Papagei Emil ein – (er stammt noch von Jacob aus der Schwabenkinder-Zeit), kramt eine sehr alte Landkarte von damals aus und wandert los, ohne zu wissen, wo sie übernachten kann und was sie zu Essen bekommt. Unterwegs passiert ihr allerhand Skurriles, Dramatisches und Berührendes – sie trifft auf die verschiedensten Menschen, die ihr helfen, von denen sie aber auch noch lernen kann und jeder geht aus den Begegnungen verändert weiter. Sie entwickelt schier unglaubliche Kräfte in ihrem Alter, um einem verloren geglaubten Versprechen nachzugehen. Und eventuell bleibt ihr nicht mehr viel Zeit. Unterwegs gehen ihre Erinnerungen und Gedanken kontinuierlich zurück in die Zeit auf dem Bauernhof und zu den bewegenden und traurigen Erlebnissen als Schwabenkind.

So komponiert die Autorin Romina Casagrande ihren szenischen Roman in zwei Zeitsträngen und packt allerhand menschliche Schicksale und bunte Charaktere auf der Reise in ihre Handlung. Die bildgewaltigen Naturbeschreibungen und die berührenden Rückblenden zusammen mit ein paar poetisch, nachdenklichen Sätzen sind schön herausgearbeitet. Der fast fantastisch anmutenden Pilgerreise der hochbetagten Edna in der Jetzt-Zeit fehlt es etwas an Glaubwürdigkeit und Authentizität – dafür gab es umso mehr Slapstick. Wer sich daran nicht stört, den erwartet ein emotionaler, leichtfüßiger und humorvoller Roman, der einen wichtigen und traurigen Teil der Geschichte rund um die Schwabenkinder miteinwebt und sehr menschlich ist.