Farbenprächtige Kulisse und gute Charaktere mit wenig dahinter

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angie99 Avatar

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Leider ist der Klappentext dieses Buches eher irreführend. Eine „Liebesgeschichte“ wird angepriesen, in der ein junger Rastafari sein Zuhause verlässt, um seinen Vater zu finden. Und auf Yejide zu treffen. All dies stimmt nur zum Teil.

Der Rastafari Emmanuel Darwin verlässt zwar sein Zuhause, aber weil er dringend Arbeit braucht. „‘Was ist das genau für ein Job, Mrs Jameson?‘ Darwin betrachtete das Formular, das er von ihr bekommen hatte. ‚Wenn sie hungrig sind, und jemand gibt Ihnen etwas zu essen, dann fragen Sie auch, was es ist?‘ Sie schob die Brille höher auf die Nase und sortierte weiter ihre Akten. ‚Was Fidelis ist, mein ich.‘ ‚Sie kennen Fidelis nicht? Der große Friedhof in Port Angeles. In der St Brigitte Avenue.‘ ‚Ein Friedhof? Mit Toten?‘ ‚Kennen Sie einen ohne?‘“ (S. 22) So wird Darwin Totengräber in Port Angeles, einer fiktiven Stadt auf Trinidad. Dass er ohne Vater aufgewachsen ist, wird eher beiläufig erwähnt.

Auch Yejide ist ohne ihren Vater groß geworden – und das ist schon fast die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Hauptcharakteren, die zwar nicht weit weg voneinander, aber dennoch in ganz verschiedenen Welten leben. In Welten, in denen die jeweiligen Traditionen (und Gelübde) eine wichtige Rolle spielen und die doch völlig andere Ausprägungen haben. Welten, die Geheimnisse und faszinierende Eigenheiten bewahren, welche Autorin Ayanna Lloyd Banwo sinnlich und charmant zu erzählen weiß und auf diese Weise eine exotische Faszination ausüben. Trinidads Bevölkerung trägt einen reichen Schatz an verschiedensten Kulturen in sich und es bietet sich an, dieses Thema einer breiten internationalen Leserschaft bekannt zu machen.

So ist denn die Grundkonstellation dieses Romans durchaus verheißungsvoll.
Die beiden Hauptprotagonisten sind vielschichtig und nahbar gezeichnet, besonders Darwin, den man einfach nur mögen kann. Durch die richtige Dosis an Weglassungen und Andeutungen baut sich eine gewisse Spannung auf, was die Vergangenheit und die Entwicklung der Charaktere angeht.

Doch nach dem vielversprechenden Einstieg driftet die Handlung in ziemlich abstruses Gewässer. Denn mit dem Tod ihrer Mutter Petronella wird Yejide Erbin einer ganz besonderen Gabe. Und dieses „besonders“ ist wirklich besonders. Autorin Banwo greift hier ganz tief in die Mystik-Schublade und zieht eine schwer nachvollziehbare Ebene heraus, eine Zwischenwelt zwischen den Toten, dem Friedhof und den Lebenden. Und obwohl sie Yejides Umherirren zwischen Realität und Vision wortgewaltig auszudrücken weiß, wirkt so manche Szene leider zu billig. So baut denn zum Beispiel die sogenannte Liebesgeschichte auf eine ganz platte „Ich habe dich im Traum gesehen und deshalb sind wir füreinander bestimmt“-Taktik. Gähn. Schade um die Charaktere, die so viel mehr zu geben gehabt hätten.
Außerdem wirken diese mystischen Elemente irgendwie kraftlos, weil sie von zu wenig greifbarem Inhalt hinterfüttert sind. Ein Hauch Fantasy hätte mit dem entsprechenden Worldbuilding funktionieren können, das Einbeziehen indigener Bräuche mit historischen Hintergründen, doch beides findet nicht statt. Banwo weiß die höchst interessanten kulturelle Mischung Trinidads leider nur als – zugegebenermaßen farbenprächtige – Kulisse einzusetzen, ohne jedoch den tieferliegenden ethnologischen Zusammenhängen nachzugehen. Damit verschenkt sie in meinen Augen großes Potential.
Viele der im Buch gestellten Fragen lösen sich nach einem aufgepeitschten Showdown mehr oder weniger in Wohlgefallen auf.

Und ich klappe das Buch zu mit dem Gefühl, nicht wirklich was aus diesem Roman mitnehmen zu können, aber immerhin von üppigen, originellen (Sprach-)Bildern und netten Figuren unterhalten worden zu sein.