Magie, Märchen oder Mythos?

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aischa Avatar

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Dieser Romanerstling ist für mich ein Paradebeispiel dafür, dass das Ganze so viel mehr als die Summe seiner Teile sein kann.

Denn Ayanna Lloyd Banwo erzählt hier eine Liebesgeschichte, und ich bin an sich kein großer Fan von Liebesromanen. Zudem enthält der Plot eine gehörige Portion Mythen, schicksalshafte Traumsequenzen und magische Szenerien. Und meist mag ich es nicht sonderlich, wenn in einem Roman Dinge passieren, die ich mir in der Realität nicht mal ansatzweise vorstellen kann. Doch diese mythische Lovestory hat mich einfach umgehauen, sie ist wie ein tropischer Wirbelsturm durch mein Hirn gefegt.

Überdies schafft Banwo reichlich Spannung auf verschiedenen Ebenen. Da wären zum einen die beiden Protagonisten, die jeweils für sich einen großen Umbruch in ihren Lebenslinien erfahren. Der junge Emmanuel verlässt nicht nur seine Mutter, um in der Stadt Arbeit zu finden und der Armut seiner Kindheit zu entkommen, sondern er bricht auch mit einem Gelübde, das er als gläubiger Rastafari abgelegt hatte. "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" wusste schon Bertolt Brecht, und auch Emmanuel stellt seine Grundbedürfnisse über die religiösen Regeln. Die weibliche Hauptfigur wiederum hat nicht nur ein extrem angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter, sondern muss nach deren Tod auch noch ein ungewolltes magisches Erbe antreten: die Fähigkeit, Tote zu sehen und die Sterbedaten der Lebenden im Voraus zu wissen.

Außerdem serviert Banwo ihren Leser*innen reichlich Crime, etwas Sex und eine faszinierend schillernde Sprache, mal poetisch-zart, dann wieder von rauschartiger Wucht. Michaela Grabingers Übersetzung aus dem trinidad-kreolischen Englisch hat mir gut gefallen, lediglich einige spezielle Bezeichnungen der karibischen Kultur oder der Religion der Rastafari waren mir unbekannt. Hier wäre ein entsprechendes Glossar hilfreich gewesen, um nicht wiederholt durch eigene Recherche aus dem Lesefluss gerissen zu werden.