Sprachbilder machen Gefühle erlebbar

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waschbaerprinzessin Avatar

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Was macht es mit einer Person, wenn sie von klein auf immer nur bemüht ist, dafür zu sorgen, dass es allen anderen gut geht, und dabei keinerlei Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle nimmt? Diese Frage steht im Mittelpunkt von Sina Scherzants literarischem Debüt „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“.

Der Roman ist in drei Teile aufgeteilt, die sich nicht nur in ihrer Länge deutlich voneinander unterscheiden. Im ersten Teil, der beinahe drei Viertel des gesamten Textes ausmacht, schildert Erzählerin Katha das Jahr, in dem sie mit ihrer frisch getrennten Mutter und ihrer kleinen Schwester nach Dortmund gezogen ist und dort Angelica kennenlernt, eine Frau, deren Auftreten sie sehr beeindruckt und deren Ansichten und Lebenseinstellung Kathas Leben tief prägen. Anfangs erschienen mir einige Formulierungen noch etwas zu künstlich und bemüht, doch mit der Zeit fand ich immer besser in die Handlung hinein.

Die Sprache passt insgesamt sehr gut zur Lebenswelt einer Vierzehn- bzw. Fünfzehnjährigen: Manchmal ein bisschen flapsig, eine ordentliche Portion Sarkasmus und eine erfrischende Direktheit. Obwohl die Protagonistin ein viel zu großes Päckchen zu tragen hat, hat es mir oft auch viel Spaß gemacht, die Welt durch ihre Teenageraugen zu betrachten. Manchmal haben mich ihre Beobachtungen und Urteile über andere Menschen zum Lachen gemacht, weil ich einfach ganz genau nachempfinden konnte, was sie meint, z. B. wenn sie denkt: „Ich war mir sicher, dass die beiden so eine gekreppte Bettwäsche hatten, die sich ganz eklig auf der Haut anfühlte und die nur alte Menschen besaßen.“

Scherzant malt treffende Bilder, die die Lesenden spüren lassen, was im Inneren der Erzählerin vorgeht. Dies gilt ganz besonders für den zweiten Teil, der aus einzelnen collagenartig zusammengesetzten kurzen Abschnitten mit jeweils eigenen Überschriften besteht. Hier hat auch der wunderschöne Romantitel seinen Ursprung. Der Autorin gelingt es, auf beeindruckende und unfassbar poetische Weise das Gefühlschaos einer Jugendlichen nach dem tragischen Verlust eines geliebten Menschen darzustellen. Die teilweise recht wirren Episoden vermitteln einen mitreißenden Eindruck davon, wie Katha die Welt nach dem Tod einer Person wahrnimmt, die ihr unglaublich viel bedeutet hat. Für mich war dies der stärkste und faszinierendste Teil des Romans.

Der dritte und letzte Teil wirkt eher wie eine Art verlängerter Epilog, in dem sich der Kreis schließt und eine sehr reflektierte erwachsene Katha über die Vergangenheit, die Gesellschaft und die Überwindung des Verhaltensmusters, anderen nicht zur Last fallen zu wollen, nachdenkt. Dieser letzte Abschnitt war mir für meinen Geschmack etwas zu rund, die Erzählstimme ein bisschen zu weise geworden.

Insgesamt hat mir Sina Scherzants Debütroman „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“, an dem nicht nur der Titel außergewöhnlich ist, sehr gut gefallen, auch wenn manchmal ein bisschen zu sehr mit dem Holzhammer auf „dieses verdammte Patriarchat“ eingedroschen und es als Erklärung für alles Mögliche Schlechte herangezogen wird. Ich würde mich freuen, in Zukunft mehr von dieser Autorin und ihren fantasievollen Sprachbildern zu lesen.