Ein Ödland der Abschottung, ein Ort voller Hass

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owenmeany Avatar

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Das ist Zeitgeschichte in Nahaufnahme, gesehen durch die Augen eines Mädchens und später einer jungen Frau, verzerrt in Froschperspektive. Es geschah in Westeuropa vor etwa 50 Jahren, und wenn man das betrachtet, braucht einen in der Gegenwart gar nichts zu wundern: Krieg verroht und setzt die niedersten Instinkte frei.

Burns setzt das in Szene mit sinnlos brutalen Episoden, die zum Himmel schreien. Der Riss geht mitten durch die Familien, und die Gewalt richtet sich vor allem nach innen, von Kapitel zu Kapitel werden die beschriebenen Charaktere immer gestörter: wenn sie nicht den Anschlägen zum Opfer fallen, spielen sie aus Langeweile russisches Roulette.

Die moralische Verkommenheit, die Schamlosigkeit und Unmäßigkeit drücken sich aus in maßlosem Essen und Magersucht, in Alkohol, Anorexie, Säuglingsmord und abstoßendem Sex. Besonders schwer erträglich sind nicht einmal die hemmungslosen Grausamkeiten, sondern noch mehr die emotionale Verrohtheit, die Gleichgültigkeit, die verwahrlosten Verhältnisse.

Meisterhaft beschreibt sie ab Seite 162 die innere Verfassung des psychisch kranken Vincent, aber dann verstrickt sie sich immer kryptischer, aber hochgradig artifiziell in dessen Wahn, bis sie den Lesern die Auflösung in kleinerer Schrift anbietet.

Titelbild und Titel führen in die Irre: man stellt sich ein Mädchenschicksal vor, aber das ist nicht das Thema.

Die geschilderte über Jahrzehnte hinweg unheilbar widerwärtige Situation ist ein Resultat des Bürgerkriegs. Insofern wird das Buch seiner Intention gerecht, Krieg so entsetzlich darzustellen wie er ist. Das ist aber insgesamt ganz schwer auszuhalten, und bei all der zweifellos vorhandenen schriftstellerischen Virtuosität weiß ich nicht, wem ich diesen Roman empfehlen sollte.

Genauso schwer fällt mir die Bewertung: wer bin ich, eine Booker-Preisträgerin zu kritisieren, deshalb lasse ich es bei 3 Punkten bewenden.