Eine Generation erlebt das Trauma der Troubles

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buecherfan.wit Avatar

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Anna Burns im Original fast 20 Jahre vor dem mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman “Milchmann“ veröffentlichter neuer Roman “Amelia“ (“No Bones“) erzählt die Geschichte eines Mädchens namens Amelia Boyd Lovett, die im Arbeiterviertel Ardoyne im Norden von Belfast aufwächst. In Ardoyne sind die Einwohner katholisch und haben eine irisch-nationalistische Gesinnung. Auf der anderen Seite der Crumlin Road beginnt das protestantische Shankill - Viertel. Amelia ist acht Jahre alt, als 1969 die bürgerkriegsähnlichen, Troubles genannten Unruhen beginnen, die erst in den 90er Jahren mit dem Karfreitagsabkommen beendet werden. Die Autorin, die einen ähnlichen Hintergrund hat wie ihre Protagonistin, beschreibt eine Kindheit, die geprägt ist von Hass und Gewalt und weit entfernt von jeglicher Normalität. Auch eine Großfamilie wie die Lovetts bietet da keine Sicherheit, wenn schon die Heranwachsenden zu Trinkern werden und sich in gewaltbereiten Gangs organisieren, die den verhassten Gegnern gern mal die Kniescheiben zerschießen. Schon Kinder bewaffnen sich und basteln Bomben. In jeder Familie gibt es Vermisste, Verletzte und Opfer von Morden, und wer überlebt, ist dennoch fürs Leben gezeichnet. Viele werden Alkoholiker und entwickeln psychische Störungen, die oft im Selbstmord enden. Amelia leidet Jahre unter Anorexie, Depressionen und Alkoholabhängigkeit und landet zeitweise in der Psychiatrie. Erzählt wird die Geschichte nicht als zusammenhängender Plot, sondern in vielen Episoden, der Chronologie folgend bis zu den Anfängen des Friedensprozesses 1994.
Ich habe den Roman mit großem Interesse gelesen, und genau wie bei “Milchmann“ bin ich überzeugt, dass man das Buch ohne Vorkenntnisse nicht versteht. Wer hasst und bekämpft wen und warum? Wofür stehen die ganzen Kürzel – RUC, INLA, IRA etc. -, und was hat es mit den zahlreichen paramilitärischen Organisationen auf sich? Das Buch ist in jeder Hinsicht keine leichte Kost. Angesichts von so viel Gewalt verliert ein ganzes Land seine Unschuld, und der Leser kann sich der deprimierenden Grundstimmung nicht entziehen. Nicht einfach zu lesen, aber dennoch empfehlenswert.