Ein eindringlicher und aufschlussreicher Spaziergang an den Ufern der Seine

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
tochteralice Avatar

Von

Spannender als jeder Roman ist die vorliegende Publikation zu den "magischen" Jahren von Paris zwischen 1940 und 1950.

Es war durchgehend keine einfache Zeit, die mit einer der schwärzesten Phasen, die Frankreich je durchlebte, begann: nämlich mit Vichy-Frankreich; der mehrere Jahre währenden Besatzung durch das nationalsozialistische Deutschland, in der das selbständige politische Leben Frankreichs quasi stillgelegt war. Man achte auf das Wörtchen "quasi": denn es entstand eine rührige Gegenbewegung, die Resistance, angeführt vom späteren französischen Präsidenten Charles de Gaulle, bis dahin ein Niemand.

Die Künstler und Kulturschaffenden jener Zeit, die im vorliegenden Band im Vordergrund stehen, ignorierten zum Teil die Politik - soweit das mit leeren Mägen und in kalten Räumen (wenn überhaupt vorhanden) möglich war, engagierten sich in der Resistance oder versuchten, sich irgendwie durchzuschlängeln. Einige kollaborierten auch ganz offen - mehr oder weniger, was ihnen natürlich zeitweise enorme Vorteile verschaffte, später allerdings Kritik, Ächtung oder auch den Tod einbrachte.

Was daran so magisch war? Nun, zum Teil sicher der Umstand, das trotz widriger, teilweise widrigster Umstände eine brodelnde Kreativität herrschte, die ihresgleichen suchte und aus mehreren Quellen genährt wurde: einmal dem Zusammenhalt, der in vielen Kreisen, die manches Mal zu einem zusammenschmolzen, herrschte. Dann der Umstand, dass Paris heil blieb, auch wenn die Wehrmacht vor ihrem Rückzug bereits Sprengsätze gelegt hatte. Und natürlich das Phänomen der Gleichheit, das für kurze Zeit geherrscht hatte. Ein Abglanz davon blieb und zog bspw. den afroamerikanischen Autor Richard Wright 1946 in die Stadt. Er blieb, weil er erlebte, was er aus den Staaten nicht kannte: man sah bzw. akzeptierte ihn als Amerikaner, seine Hautfarbe spielte keine Rolle.

Das sind ein paar kleine Puzzlesteine, die die Frage nach der Besonderheit von Paris in diesem einen Jahrzehnt zwar nur unzulänglich, aber doch teilweise beantworten. Sicher kann jeder Leser dieses erfüllenden Buches einen eigenen speziellen Aspekt, der ihm aufgefallen ist, hinzufügen.

Wieder und wieder ergriff mich Bewunderung für die Autorin Agnès Poitier: wie nur hatte sie diese ganzen Details herausfinden können? Das Wissen, das in diesem Buch gebündelt ist, ist einfach unglaublich. Doch man sollte darauf gefasst sein, dass sie Meinung bezieht - unabsichtlich sicher, doch als Konsequenz ihrer Recherchen sicher nicht zu vermeiden. So kommt bspw. Gerhard Heller, der für die Literaturpolitik der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich war und mit dem als Bewunderer der französischen Kultur einiges geregelt werden konnte, von ihr als relativ liberal dargestellt - so, wie er sich selbst wohl sah. In anderen Schriften wird er um einiges strenger beurteilt. Doch dies ist ein Umstand, der aus meiner Sicht überhaupt nicht störend ist, man sollte sich seiner nur bewusst sein.

Insgesamt ist dieser Band, dieser durchaus ausführliche Spaziergang an den Ufern der Seine, ein ganz besonderes Kleinod, ein Kunstwerk für sich, das ich jedem, der Frankreich liebt, ans Herz lege!