Fragwürdige Moral

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drachenzahn Avatar

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Zu Beginn hat mich das Buch vollkommen begeistert. Die Geschichte strotzt vor kreativen, fantasievollen und originellen Ideen. Die witzigen Zeichnungen und die charmanten Charaktere haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Doch ab der Mitte nahm die Erzählung eine Wendung, die mich zunehmend frustrierte. Und das Ende hat mich schließlich richtig geärgert.

Dabei hatte die Geschichte alle Zutaten für ein großartiges Leseerlebnis. Besonders gefallen haben mir die skurrilen Bewohner der Andersgasse, deren Geheimnisse nur oberflächlich angerissen wurden und viel Potenzial für weitere Bücher bieten. Da wären etwa die geheimnisvolle Hexe Esmeralda, der unsichtbare Herr Müller oder der alte Seemann Matties, der einige abenteuerliche Gegenstände und Geschichten von seinen Reisen mitgebracht hat. Auch die neue Frau Klein, die Verkäuferin im Gemischtwarenladen und die rätselhafte Dame von gegenüber versprechen spannende Geschichten. Wobei die Menge an Ideen manche Kinder vielleicht überfordert. Erst ab der Mitte des Buches kristallisiert sich ein klares Thema heraus.

Karl lebt in diesem Haus bei seiner Tante Zissi, die sich selbst für normal hält, aber mit ihren Eigenheiten perfekt in die Andersgasse passt. Um den unheimlichen Dingen auf den Grund zu gehen, ermitteln er und seine beste Freundin Elsa als Detektive unter dem Decknamen Adlerauge und Riechnase. Man erfährt aber im Laufe des Buches recht wenig über die einzelnen Nachbarn, aber sie wirken überaus magisch und geheimnisvoll. Ein paar Aspekte – wie der Geist im Keller oder der unsichtbare Klabautermann – könnten aber auf Jüngere gruselig wirken.

Während mich der Anfang des Buches überzeugt hat, begann ich mich ab der Mitte sehr über das Verhalten von der Hauptperson Karl zu ärgern. Die Allwachspflanze wird gleich zu Beginn als hochgradig gefährliche Pflanze beschrieben. Und das nicht nur von einer Person. Dennoch ignoriert Karl sämtliche Warnungen und testet die Wirkung der Pflanzen mit purer Absicht aus. Dieser erzählerische Kniff mag spannend sein, er macht Karl als Protagonisten jedoch leider wenig sympathisch. Zumal sein vorgeschobener Grund eher dürftig ist. Zudem hat er auch keine Skrupel, seine Freunde zu bestehlen, zu belügen und wiederholt zu hintergehen.

Besonders ärgern mich aber die Konsequenzen, die er aus seinem Handeln zieht. Das Buch endet tatsächlich mit einer weiteren rücksichtlosen, egoistischen Tat und bricht dann einfach ab. Ich nehme an, dass das Thema in einem nächsten Band wieder aufgegriffen wird, da dieses Ende alles andere als befriedigend ist. Karl hat sich weder entschuldigt noch gezeigt, dass er sein Verhalten wirklich reflektiert hat. Als Einzelband funktioniert diese Geschichte auf jeden Fall nicht.

Trotz des vielversprechenden Beginns und der fantasievollen Welt hinterlässt das Buch letztlich einen faden Beigeschmack. Die wunderbaren Charaktere und kreativen Ideen hätten das Potenzial für eine großartige Geschichte geboten, doch das fragwürdige Verhalten der Hauptfigur und der abrupte, unbefriedigende Abschluss trüben den Lesespaß erheblich. Die Fortsetzung könnte eventuell einiges wieder gutmachen. Doch solange unklar bleibt, ob und wann diese erscheint, bleibt die Enttäuschung bestehen.