Mir fällt es bei diesem Roman schwer, Werk und Autor zu trennen.

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Ach, Édouard – ein Symapthieträger bist du nicht gerade.
Ich verstehe, warum dein neuester Roman so gemocht wird, denn du kannst es zweifelsohne – schreiben. Der Ton ist mitreißend, die Geschichte – die autofiktionale Annäherung an dein Leben – atemlos. Vielleicht fehlen mir auch deine vorherigen Werke, um dieses Buch einzuordnen, aber ich sags, wie’s ist: ich find’s overhyped.
Was daran liegt, dass ich deinen Protagonisten, der die, der seine, DEINE, Geschichte trägt, einfach unfassbar unsympathisch finde. Undankbar, pathetisch, egozentrisch.
In deinem Buch ging es nicht einmal um andere – es ging nur darum, wie andere dir halfen, „ein anderer zu werden“. Und dieser Andere schreibt über sich selbst sogar zeitweise in der dritten Person, was viel aussagt.
Deine Kindheit war nicht einfach, ich denke, das spricht dir keiner ab. Als jemand, der aus der Reihe fällt, in Armut aufzuwachsen – an Gütern und an Geist – ist ungerecht, unfair, führt zum Ausbruch.
„Ich wollte es aus Rache zu etwas bringen“, schreibst du. Klassismus ist ein Problem, über das wir als Gesellschaft viel mehr sprechen müssen. Und hierbei hilft es, eine Erfahrungsgeschichte wie deine zu lesen – wobei natürlich klar sein muss, dass dein Happy End, oder vielmehr dein Happy Beginning, denn du bist zwei Jahre jünger als ich – nicht die Norm ist. Der Rahmen ist schnell gesteckt: Junge aus kinderreicher Arbeiterfamilie schafft den sozialen Aufstieg, durch Bildung und den Zugang zu Kultur: Literatur, Theater, Kunst.
Du musst unfassbar viel Kraft, Willen und Ehrgeiz aufgewandt haben, um es „da“ rauszuschaffen und in die Pariser Bourgeoisie und sogar darüber hinaus aufzusteigen. Und ich kann verstehen, dass man, wenn man von unten kommt, dazu neigt, andere Menschen als Trittleiter zu benutzen, denn „was anderes hat man ja nicht“ und irgendwie empfindet man es als ausgleichende Gerechtigkeit. Das führt aber eben trotzden nicht dazu, dass man sonderlich sympathisch wirkt.

„Ich wollte leben und Leben bedeutete, aus der Masse hervorzustechen.“

Mir fällt es bei diesem Roman schwer, Werk und Autor zu trennen. Als autofiktional bezeichnet, ist die Handlung immer wieder mit Fotos aus der Vergangenheit des Autors unterfüttert, was die Trennschärfe untergräbt. Mir fehlt die Dankbarkeit, das sanfte Zurückblicken auf das, was man bereits erreicht hat. Das kommt vielleicht später noch, aber bis dahin finde ich es ein wenig absurd, dass jemand, der in weiten zu Teilen so verachtend zurückgeblickt hat, seinen ganzen Lebensstandard nun genau dem zu verdanken hat: der Geschichte, die ihn dorthin gebracht hat. Ohne die hätte er ja gar nichts zu erzählen, immerhin ist es das vierte Buch, dass sich um dieses Thema, sich selbst (Egozentrismus, sag ich ja) dreht. Wenn ich allerdings seinen Wikipedia-Eintrag lese, glaube ich, mit dem genau falschesten Roman gestartet zu haben, denn in den weiteren scheint es deutlich mehr um gesellschaftliche Umstände und politische Strukturen zu gehen.