Mit der Wut als Modellierwerkzeug

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nathalielamieux Avatar

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Als 2015 „Das Ende von Eddy“ erschien, sorgte der Autor damit für Furore und wurde in Frankreich ein Literaturstar. Darin berichtete er über seine Herkunft aus prekären nordfranzösischen Verhältnissen und seine Homosexualität als Eddy Bellegueule. Später benannte er sich um in Édouard Louis, unter diesem Namen erschien auch das Buch. Sein neues Buch, „Anleitung, ein anderer zu werden“ beschäftigt sich nun mit dieser Verwandlung von Eddy zu Édouard.

Worum geht es? Das ist einfach zu beantworten: Um ihn selbst. Zwar ist das Buch als Roman bezeichnet, doch ist es mehr eine Art Reportage über ihn selbst. Er steht im Mittelpunkt, alles dreht sich um ihn, um den, der er war und nicht mehr sein möchte und um ihn, der er sein möchte und wird. In der Hinsicht ist der Titel perfekt, denn er gibt dem Leser tatsächlich die Anleitung an die Hand, wie er aus dem schwulen Außenseiter eines armen Dorfes in Nordfrankreich zu einem Kunstprodukt werden kann. Dabei bleibt kein Element mehr da, wo es mal war – und Édouard hat mit Eddy nicht mehr viel gemein.
Das Buch erzählt seine jugendliche Lebensgeschichte, wie er über das Vehikel der Bildung die Flucht aus der dörflichen Enge schafft. So gelingt ihm der Übergang ins Gymnasium in Amiens und später die Aufnahme an der berühmten École normale supérieure in Paris, wo er zum Schriftsteller wird. Die treibende Kraft hinter dieser Anstrengung ist seine Rache an seinem Vater und sein Fluchtimpuls. Er möchte sein altes Leben hinter sich lassen, aufsteigen, es allen und vor allem dem Vater zeigen, jemand werden. Statt ein Opfer von Gewalt, Mobbing und Homophobie zu sein, möchte er sozial aufsteigen ins Intellektuellenmilieu. Er findet bürgerlichen Anschluss bei einer Schulfreundin, lernt Umgangsweisen und Benimmregeln, lernt sich zu kleiden und sich auszudrücken und trainiert sich Dinge ab, die seine Herkunft verraten, wie z.B. sein Lachen. Er stößt nicht nur seine Herkunft ab, sondern alles, was daran erinnert. Er muss sich regelrecht erneuern. Lacht auf eine neue Art, kleidet sich neu, lässt sich die Zähne über Jahre mühsam machen, verändert den Haaransatz und gibt sich einen neuen Namen. Er schafft damit die Kunstfigur Édouard Louis, die nichts dem Zufall überlassen will. So schreibt er am Ende auch nicht, um Literatur hervorzubringen, sondern um zu beweisen, dass er ein anderer geworden ist.

Das könnte alles sehr tragisch und traurig sein, oder an „Pygmalion“ von George Bernard Shaw erinnern . Aber so beschreibt Édouard Louis seine Auto-Reportage nicht. Stattdessen beleuchtet er sich selbst wie ein Kunstwerk, stellt sich in Positur wie eine stolze Statue, die mit kunstvollem Geschick modelliert wurde. Mit der Wut als Modellierwerkzeug zeigt er, dass er nur überleben kann in unserer Welt, wenn er sich formt. Und das hat er sehr beeindruckend.