Konzentration auf das Wesentliche …

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… hätte dem Buch wohl gutgetan, doch der Reihe nach, denn die Idee hinter Matthew Blakes „Anna O.“ klingt vielversprechend: Eine Frau, die seit Jahren nicht mehr aufgewacht ist, sich also in einem an ein Koma erinnernden Zustand befindet, soll in der Nacht, bevor sie in diesen Zustand eintrat, zwei Freunde erstochen haben. Um in einer Verhandlung zu klären, ob sie unschuldig oder eine Mörderin ist, wird ein Experte für Schlafmedizin, Benedict Prince, hinzugezogen. Er soll sie aufwecken, wozu er sich zunächst ein Bild von seiner Patientin verschafft, wobei ihm ihre Pflegerin Harriet hilft. Schnell wird Ben klar, dass er neben den für ihn fachlich-wissenschaftlich spannenden Aspekten von Annas Schlafkrankheit auch ethisch-moralische Fragen aufwirft – und dabei diversen Personen zu nahetreten könnte, von denen zumindest eine(r) keinerlei Interesse an einer Aufklärung zu haben scheint …

Bereits auf den ersten Seiten entfaltete die Geschichte einen Sog, doch der hält nicht lange. Wieso nicht? Erzählt wird vorwiegend aus Bens Perspektive, ergänzt von Kapiteln u. a. aus Sicht von Annas Mutter sowie Auszügen aus Annas Notizbüchern. Natürlich ist man recht schnell drin, weil man überlegt, ob es diese Schlafkrankheit wirklich gibt, ob es sinnvoll ist, denjenigen zu wecken (für ihn vielleicht nicht – für die Gesellschaft und die Familien der Opfer sicher, denn die wollen irgendwann Gewissheit) und wie das gelingen könnte, womit man tief in einen Strudel ethisch-moralischer Fragen gerät. Durch die unterschiedlichen Perspektiven erhielte die Geschichte auch die nötige Ausgewogenheit und dank des Umstands, dass der Großteil aus der Perspektive eines Wissenschaftlers geschrieben ist, eine gewisse Objektivität. Genau die ist über weite Strecken aber auch das Problem, denn Ben wirkt ein bisschen unnahbar und das, obwohl es für ihn um so vieles gehen könnte (wenngleich er letztlich ja schon alles verloren hat). Allerdings wirkt er gerade in Bezug auf sich selbst recht nüchtern, und das, obwohl seine Ex-Frau sein Mandat kritisch beäugt, weil sie die Kommissarin war, die damals am Tatort war. Auch die weiteren Personen wirken teils etwas blutleer (klar hat eine frühere Innenministerin Beziehungen und ein Interesse nicht nur an ihrer, sondern auch der Außendarstellung ihrer Tochter), was dann auch auf das Geschehen abfärbt: Natürlich interessieren sich die Medien und die Bevölkerung für den Fall, aber vor lauter Drumherum geht der eigentliche Handlungsfaden nicht mehr voran. Dann noch Annas Recherchen zu einem Verbrechen, bei dem die mutmaßliche Mörderin inzwischen tot ist – da gibt es Parallelen zu Annas Fall (Anna kann sich nicht verteidigen, weil sie schläft – Sally kann es nicht, weil sie tot ist …), aus denen man etwas hätte machen können. Und damit bin ich beim Hauptproblem, das ich mit „Anna O.“ habe: Gefühlt wollte der Autor zu viel, hätte er sich auf nur einige wenige seiner hier angeschnittenen Themen, Handlungsstränge (Schuld, Politik, Rache, Forschungsmethoden, persönliche Beziehungen, Macht der Medien …) besinnt, wäre die Geschichte meines Erachtens besser geworden. So wirkt sie unter der Vielfalt „unwesentlicher Aspekte“ beinah erstickt und bekommt 3 Sterne, für ein Buch, bei dem jeder selbst wissen sollte, ob die Lektüre lohnt.