verschenktes Potenzial

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sekty Avatar

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Vor vier Jahren soll Anna O. zwei ihrer engsten Freunde brutal erstochen haben. Sie konnte bisher jedoch nicht dazu vernommen werden, da sie blutig, aber schlafend in der Nähe der Leichen aufgefunden wurde und seitdem nicht wieder aufgewacht ist. Dr. Benedict Prince ist Experte für Verbrechen, die im Schlaf begangen werden und soll seine neue Theorie zum Aufwecken solcher Patienten an Anna O. testen, denn das Justizministerium will sie endlich anklagen. Doch hat Anna O. diese Tat überhaupt begangen? Hat sie dabei tatsächlich geschlafen und ist sie dann überhaupt schuldig?

„Anna O.“ wurde bereits vorm Erscheinen gehypt und ist nicht umsonst in über 30 Ländern erschienen. Die Grundidee des Buches ist einfach genial und bietet so viel Potential. Angefangen mit der Frage, ob jemand schlafwandelnd einen Menschen umbringen kann und dann schuldig oder unschuldig ist. Hin zu dem „Resignationssyndrom“, was mir vorher nie begegnet ist und bei dem ich erst einmal googlen musste um festzustellen, dass dieses tatsächlich existiert. (kurzer Exkurs: Das Syndrom betrifft hauptsächlich geflüchtete Kinder, die erfahren haben, dass sie wieder in ihr Land abgeschoben werden sollen und dann so hoffnungslos sind, dass sie sich aus ihrem Leben quasi zurückziehen, einschlafen und nicht mehr geweckt werden können – teilweise Wochen oder Monate lang.)

Und nun haben wir Anna O., die scheinbar an diesem Resignationssyndrom leidet und man rätselt mit, was das bei ihr ausgelöst haben könnte. Stellt Vermutungen an, ob sie tatsächlich eine Mörderin ist, ob Dr. Prince sie wieder erwecken kann und ob dieser mysteriöse Fall am Ende aufgelöst werden wird. Dabei bedient sich der Autor verschiedener Perspektiven und man lernt auch Anna kennen bzw. zumindest ihre Vergangenheit, da immer wieder Tagebucheinträge eingestreut werden. Diese fand ich recht interessant, da sie Verwicklungen aufdecken, die der Leser sonst nicht erfahren hätte.

Teilweise wirft Blake mit Fachbegriffen aus der Psychologie, der Neurologie, der Schlafforensik und anderen Fachgebieten um sich und man denkt „wow, der weiß wovon er redet“, aber wenn man genauer hinschaut, merkt man schnell, dass er eigentlich nur an der Oberfläche kratzt und diese fehlende Tiefe über das eigentliche Thema hat mich sehr gestört. Dr. Prince‘ revolutionäre neue Methode um solche Patienten aufzuwecken, wäre das Erste was ich selbst bei so einem Patienten versuchen würde und absolut nichts Neues. Zu den Kindern, die am Resignationssyndrom erkrankt sind, hätte ich gerne noch mehr erfahren, aber das Thema wird nur kurz gestreift und auch sonst hätte der Autor noch viel mehr in die Psychologie und die Schlafproblematik eingehen können.

Teilweise unterhält der Roman spannend, teilweise aber auch etwas langatmig. Ich habe das Buch gerne gelesen, weil ich wirklich wissen wollte, wie es ausgeht und was damals geschehen ist und wie es mit Anna O. weitergehen würde, aber das Ende konnte mich ebenfalls nicht überzeugen. Das Motiv konnte ich im Groben nachvollziehen, aber die Umstände, das Herleiten, und die Motivation einer anderen Person fand ich unglaubwürdig. Irgendwie war es verwirrend, als hätte der Autor nicht alle Fäden zusammenbringen können.

Fazit: Leider wurde viel Potential dieser grandiosen Grundidee verschenkt. Spannende Unterhaltung gibt es zwar, aber die relevanten Themen werden nur oberflächlich behandelt und das Ende überzeugt nicht. Ich war bei 3,5 Sternen angekommen. Im Vergleich mit anderen Romanen, die ich in letzter Zeit gelesen habe, muss ich diese jedoch auf 3 Sterne abrunden. Eine grandiose Idee allein reicht leider nicht aus.