Vexierspiel in einer Albtraumwelt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
ron_robert_rosenberg Avatar

Von

Kurz: Spannend komponierte Mördersuche mit Hitchcock-Anleihen.

Wer ist Anna O.? Mit dem gleichnamigen Roman führt Matthew Blake den Leser in die psychoanalytischen Verflechtungen des Schlafes und zu der spannenden Frage, ob ein Schlafender schuldig sein kann. Frei nach der alten Lebensweisheit Wer schläft, sündigt nicht. Hier kommen wir auf Anna, die im Verdacht steht, zwei Menschen ermordet zu haben und anschließend durch das medizinisch rätselhafte Resignationssyndrom in einen vierjährigen Schlaf fällt. Der Psychologe Dr. Benedict „Ben“ Prince aus der renommierten Schlafklinik The Abbey in der Harley Street hat den Auftrag, Anna zu wecken und diese Frage für die britische Regierung zu klären, um Anna vor Ablauf der Verjährung den Strafprozess machen zu können.
Der Roman wird stilistisch weitestgehend in der Ich-Form erzählt, was den Leser sehr dicht an die Figuren heranrücken lässt. Durch einige Perspektivwechsel gelingt es Blake, die Geschichte Stück für Stück zusammenzusetzen, wieder zu zerpflücken und neu zusammenzusetzen. Diese Teile fungieren bis zum Ende, der Auflösung in einer Lösung, wie Bruchstücke in einem Vexierspiel.
Vor allem Bens Suche nach der Wahrheit, um sich selbst in seinem verkorksten Leben zurechtzufinden, wird zum Katalysator der Story. Wird er es schaffen und Annas Geheimnis lüften? Ein raffinierter, ausgeklügelter Krimi mit Thriller-Elementen, in dem die Vorliebe des Autors für Hitchcock-Stoffe und Tatsachenromane, allen voran Kaltblütig von Truman Capote, mehrfach durchschlägt. Allerdings hätten manche wortgewandten und bildungsklugen Passagen kürzer ausfallen dürfen. Hier protzt Blake zu sehr mit einfallsreichen Formulierungen, die den Lesefluss etwas hemmen.
Das Ende – so viel sei verraten – steht für ein logisches Konstrukt, das um des Überraschungswillen etliche Wendungen bereithält, dafür aber die Glaubwürdigkeit des Lesers stark strapaziert. Es scheint wie die Handlung selbst einem Labor entsprungen, in dem es keinen Zufall gibt, sondern ein festes Arrangement, das sich erst zuletzt erschließt.
Spannende Unterhaltung, ein flüssiger, experimentierfreudiger Schreibstil und der Wille des Autors, eine ungewöhnliche Idee zu Papier zu bringen, stehen für einen rundum gelungenen Roman.
Von mir viereinhalb von fünf Sternen.