Eine Familie im Sog der Zeiten

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gerwine ogbuagu Avatar

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Wer diese Geschichte zu lesen beginnt ist innerhalb von wenigen Seiten eingesponnen in diese lebendige jüdische Familie in Kopenhagen. Wir sind im Jahr 1929 und erleben die Wohnungsnot in Kopenhagen und wie Familien sich helfen, in einer kleinen beengten Wohnung noch eine Familie, die bald ein Baby erwartet, aufzunehmen. Diese Juden empfinden sich als Dänen, nachdem sie schon über zwanzig Jahre in Dänemark leben, sprechen aber teilweise jiddisch. Neue Verwandte werden in der beengten Wohnung der sechsköpfigen Familie aufgenommen. Darum zieht Hannah zu ihren Eltern ins Schlafzimmer.
Ihr Vater Jitzhak, ein begabter Schneider, fährt mit seinem Fahrrad Waren aus. Wir erleben, wie er in einer Versammlung, die gegen Juden wettert, halt macht um zuzuhören und angegriffen wird. Ein Polizist rettet ihn und warnt ihn, sich in solche Situationen zu begeben. »Tja, es war jedenfalls nicht sonderlich klug von Ihnen, sich unter diese Versammlung von Bauerntrampeln und Aasgeiern zu mischen«, erklärt der Polizist und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren. Damit ist die Atmosphäre schon klar, die in diesem Roman die Trope ist: Judenfeindlichkeit.
Wir begleiten die Geschichte dieser Familie durch sieben immer turbulente Jahrzehnte.
Wir werden Zeuge jüdischen Lebens, wie es damals geschah. Die Eheleute Bruche und Jitzhak. Ihre drei Jungen und Hannah. Konflikte sind vorprogrammiert – die Jungen wollen Däninnen heiraten und keine Jüdinnen – ein Sakrileg für orthodoxe Juden. Die alte Schule besagte, „dass man natürlich die Befehle der Thora, des Talmuds und der eigenen Eltern zu befolgen hatte…“ Für die Mutter Bruche eine Katastrophe, wenn dies nicht beachtet wird, für den Vater Jitzhak auch, aber er ist der stillere Teil dieser Ehe, während wir von Bruche Temperamentsausbrüche erleben, die ihresgleichen suchen. Die Brüder aber können sich immer durchsetzen, nur Hannah muss sich anpassen – ihr bleibt eine arrangierte Ehe mit einem französischen Juden, Francois, nicht erspart. Aber vorher darf sie ihre große Liebe mit Aksel heimlich erleben – eine Liebe die sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird – ein großes Geschenk in ihrer dann unglücklichen Ehe in Paris, die sie erträgt – Mädchen und Frauen ertragen eben. Ihr Gegenpol zu dieser Einstellung ist die Freundin Elisabeth, eine Dänin, sie und Hannah sind von Kindheit an befreundet. Sie wünscht sich für Hannah, dass sie Francois verlässt – vergeblich.
Dieser wunderbare Roman ist so erfüllt von wahren Schicksalen, Begebenheiten, Gefühlen und Erlebnissen, die in einer Rezension nicht zur Sprache kommen können. Aber das wichtigste und warum wir in diesem Roman so sehr in allen Facetten – wunderbaren und zutiefst traurigen – mitfühlen, ist die Sprache. Benjamin Koppel ist Musiker und so ist seine Sprache: nicht nur ist diese Geschichte großartig komponiert, wie gute Geschichten es sein müssen sondern eben bildhaft und immer illustrativ, vollkommen in allen Beschreibungen der Begebenheiten und Charakteristiken der Personen – allen erwähnten und es sind noch viel mehr. Dazu kommt der Hintergrund der Kriegszeiten und geschichtlichen Ereignissen, die immer wieder so erschütternd wirken, obwohl sie ja bekannt sind. Diese eindrucksvolle Geschichte ist ein Juwel und wird nicht umsonst als „Überraschungsbestseller aus Dänemark“ bezeichnet. Es geht nicht zuletzt auch um Hoffnung und Mut in den schwärzesten Zeiten und die tröstende Kraft der Musik. Wir lesen eine bedeutende und zutiefst bewegende Geschichte des letzten Jahrhunderts bis heute.