"What are you doing the Rest of your Life?"

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"Ich liebe dieses Lied. Das ist mein Lied. Aber Du darfst es gern haben." (S. 525).

So äußert sich Anna - im Roman Hannah genannt - kurz vor dem Ende eines langen Lebens zu ihrem Großneffen Benjamin Koppel. Erst spät durfte und konnte Hannah ganz für sich selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollte und die Musik in den Mittelpunkt stellen.

Aufgewachsen ist Hannah im Kopenhagen der Zwischenkriegszeit, in einer weitverzweigten, lärmenden und lebensfrohen Familie mit starken jüdischen Traditionen. So war ihr Weg vorbestimmt und zeigte Grenzen auf. Während ihre älteren Brüder aus den Vorschriften des Glaubens ausbrechen konnten, konzentrierten sich die Hoffnungen vor allem ihrer Mutter Bruche auf die Tochter, das "kleine Bufkele". Und dieser Mutter, die zu Gewaltausbrüchen neigte, konnte Hannah sich nicht widersetzen. Für sie galten "andere Regeln, weil sie ein Mädchen war. Andere Regeln, weil die Religion und die Familientradition etwas anderes, etwas mehr von ihr forderten." (S. 501). Die Eltern suchten den passenden Ehepartner Francois aus, Hannahs erste (und einzige) Liebe Aksel hatte keine Chance gegen eine arrangierte Verbindung im jüdischen Glauben. Während die Brüder ihre erfolgreichen Musikerkarrieren starteten, musste die ebenfalls sehr begabte Hannah sich in Paris einem Ehemann unterordnen, der ihr die Musik und das Musizieren quasi untersagte. Da sie ihm statt des erwünschten Stammhalters drei Mädchen gebar, bekam sie häufiger schmerzhaft seine Hand zu spüren, wurden die Töchter vom Vater kaum beachtet.

Aufleben konnte Hannah so erst nach dem Tod des Ehemanns, und während sie ihr von Musik erfülltes Leben aufnimmt, den Kontakt zu anderen Familienmitgliedern nicht mehr sucht, macht sie ihr Großneffe Benjamin Koppel ausfindig, der Autor und "Kompositeur" dieses Romans. Liebevoll, mit großer Achtung vor Anna und in wunderschönem Rhythmus erzählt er von diesem Leben, geprägt von Pflichten, Enge und Unterdrückung. Dennoch hat Anna sich ihre Träume, ihren Glauben an die Liebe und die Musik bewahrt und ist nicht verbittert geworden.

Sprachlich vermittelt Koppel Einiges aus der jüdischen Kultur, und wer sich beim Lesen die Mühe macht, einige jiddische Begriffe nachzuschlagen, wird mit einem tieferen Verständnis der Geschichte belohnt.

Das Cover mit Edward Hoppers "Room in New York" ist perfekt gewählt, um die Protagonistin zu charakterisieren: die teils melancholische Grundstimmung, das Alleinsein, die Sehnsucht, die Kraft der Musik.

Für mich eine wunderschöne Lektüre!