Die Mischung geht nicht auf

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waschbaerprinzessin Avatar

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Ein fantastisches Buchcover, spannende Ideen und eine Autorin, die ich sehr schätze - mit großer Vorfreude habe ich auf Mithu Sanyals zweiten Roman gewartet und mich beim Lesen von “Antichristie” dann leider sehr schwer getan. Die Autorin hat ohne Frage tiefgehend recherchiert und hätte ganz bestimmt ein großartiges und mit ihrer Erzählweise sicher auch unterhaltsames Sachbuch über indische Revolutionäre im London zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts schreiben können. Stattdessen hat sie ihre durchaus erzählenswerten Rechercheergebnisse mit Doctor-WHO-Zitaten, Drehbuchschnipseln über die magische Wirkung von Pflanzen, Diskussionen um eine postkoloniale Neuverfilmung von Agatha-Christie-Krimis, einem Locked Room Mystery (Achtung Spoiler: Sherlock Holmes taucht auch noch auf), einer toten Mutter und einer toten Königin in einem Mixer zu einem Zeitreiseroman püriert. Und diese Mischung ist für meinen Geschmack dann doch etwas zu viel des Guten.

Die Idee, zu überlegen, wie man Krimis von Agatha Christie dekolonialisieren könnte, finde ich spannend, die Umsetzung im Roman allerdings einfach nur anstrengend. Im Rahmen eines mehrtägigen Schreibworkshops, an dem auch die Protagonistin Durga teilnimmt, diskutiert eine Gruppe möglichst diverser Figuren darüber, wer von ihnen mehr über Rassismus, Diskriminierung und Unterdrückung weiß. Es ist durchaus interessant, wie dort historische Ereignisse und Persönlichkeiten aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden und auch Durga ihre eigenen felsenfesten Annahmen immer wieder zu hinterfragen beginnt. Man merkt den Charakteren und ihren Dialogen jedoch extrem an, dass sie hauptsächlich deshalb erfunden wurden, um diese verschiedenen Standpunkte zu beleuchten, wodurch es sowohl den Figuren als auch den Gesprächen an Lebendigkeit mangelt. Im Vergleich dazu haben die Teile des Romans, die in der Vergangenheit spielen, für mich deutlich besser funktioniert. Am Ende ist der Workshop vorbei, ohne dass man eine Idee davon bekommt, was dabei herausgekommen ist, außer irgendwas mit Hexen und Kräutern und dass Poirot schwarz sein sollte. Und das ist nur eins der vielen losen Enden, die nach über 500 Seiten übrigbleiben. Es entsteht das Gefühl, dass Sanyal viele gute Ideen hatte, aber letzten Endes kaum eine davon zu Ende geführt hat.

Auch der Humor funktioniert für mich an vielen Stellen leider nicht, wirkt teilweise zu bemüht. Insbesondere, dass Jack, der Ehemann der Protagonistin, Deutsch und Englisch vermischt, indem er Sätze zur Hälfte in sehr korrektem Englisch und zur anderen Hälfte in sehr korrektem Deutsch spricht, hat mich einfach nur genervt. Diese Art von Sprachwitz passt für mich auch deshalb nicht, da sich die Figuren in dem Roman eigentlich meistens auf Englisch unterhalten, die Dialoge aber dennoch auf Deutsch verfasst sind. Es sei denn, ein Satz hört sich im Englischen irgendwie besser an, dann steht er da auch schon mal auf Englisch.

Ich habe weder Doctor WHO gesehen noch ein Buch gelesen, in dem Hercule Poirot oder Sherlock Holmes ermitteln. Vielleicht hat man mehr Spaß mit dem Roman, wenn man dies getan hat und die vielen Referenzen besser einordnen kann. Mich persönlich hat Mithu Sanyals “Antichristie” leider eher enttäuscht.