Interessant, aber...

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mike nelson Avatar

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Interessant, aber... Und das Wörtchen ABER gehört eigentlich groß geschrieben. Man könnte meinen, das neue Werk von Mithu Sanyal - "Antichriestie" - sei unter dem Einfluss psychedelischer Substanzen entstanden, wenn es denn stimmt, dass die Einnahme derartiger Mittel zu Weitschweifigkeit und Erzähllust, zu verrückten Ideen und nachdenkenswerten Gedanken führt, zu einer wilden Mischung aus Historiendetails und Humor. So war ich während des Leseprozesses hin und her gerissen zwischen Leselust und Lesequal. Schon allein die Story fordert den Lesenden einiges ab - man muss sich einlassen können auf das Phänomen 'Zeitreise'. In der Gegenwartsebene planen Durga und ein 'Kreativteam' die Verfilmung eines Agatha-Christie-Krimis... und was dabei alles zu berücksichtigen ist - bespielsweise welche Hautfarbe Hercule Poirot haben soll... Durga, weiblich mit indischen Wurzeln, entschwindet plötzlich ins England des Jahres 1906, hat einen Penis und findet sich wieder in einer Gruppe indischer Rebellen, die Attentate planen. Über diese Schiene werden die Themen Kolonialismus und Gewalt angerissen. Und Durga switcht immer wieder zwischen beiden Zeitebenen hin und her... und hat nicht nur sich, sondern auch mich dabei ganz schön verwirrt. Aber zwischendrin gibt es auch Großes zu entdecken: "Sie wollte Zeit nicht als verrinnende Masse, sondern als eine Ansammlung von Innehalten. Zwischen den Minuten nistete die Unendlichkeit." Oder auch: "Wenn man sich einmal vom Anker des gesellschaftlichen Konsenses gelöst hatte, trieb man unaufhaltsam hinaus in das Meer der alternativen Realitäten." Also viel Vergnügen auf der Entdeckungsreise.