The Queen is dead, was nun?
Was war das denn bitte für ein wilder Ritt? Durga, eine Deutsche mit indischem Vater, die gerade noch die Asche ihrer Mutter irgendwo in der heimischen Landschaft verstreut hat, fährt nach London, um mit einer Gruppe Drehbuchautor*innen Agatha Christies Krimis zu dekolonialisieren. Leider stirbt zur gleichen Zeit auch die Queen, und eine witzig gemeinte Schlagzeile über die Krimiqueen Agatha Christie ruft unfreiwillig Fans der echten Queen auf den Plan, die sich vor dem Writers’s Room zu täglichen Demonstrationen versammeln und so einen Debattenbeitrag zur Kolonialgeschichte Großbritanniens beisteuern – schließlich steht die Queen sinnbildlich für das Britische Empire, und dass sich das nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, wissen inzwischen wohl auch die größten Royalist:innen. Sollte man zumindest meinen. Doch die durchaus unterhaltsamen Diskussionen darüber, wie eine Neuausrichtung von Hercule Poirot aussehen könnte, gehören nur zu einem der Handlungsstränge der Geschichte. Durga verliert nämlich nach einem Streit mit ihrer mitgereisten Freundin Nena das Bewusstsein und findet sich anschließend als indischer Mann im London des Jahres 1906 wieder. Und landet nach kurzer Zeit im India House, eigentlich als Unterkunft für indische Studenten gedacht, jedoch zur damaligen Zeit Treffpunkt der indischen Revolutionäre, die für die Unabhängigkeit kämpfen wollen und sich dafür mit Gleichgesinnten aus Europa verbünden. Durga beziehungsweise jetzt Sanjeev stellt mit Entsetzen fest, dass der in ihrer Familie verhasste Vinayak Damodar Savarkar, der als Vater des Hindunationalismus gilt und vom heutigen indischen Premierminister Narendra Modi sehr verehrt wird, auch dort lebt. Und vielleicht gar nicht so schlimm ist wie sie immer dachte. Gandhi dagegen, der Held ihrer Jugend und auch der ihrer Eltern, wird von den damaligen Revolutionären eher belächelt. Da Sanjeev weiß, dass er eigentlich Durga ist und entsprechend über das Wissen um den weiteren Verlauf der Geschichte verfügt, werden die beiden Zeitebenen zunehmend löchrig, manches erscheint wie eine übereinandergelegte Schablone, die bei genauerer Betrachtung nicht so richtig passt. Mithu Sanyal schaut in die Grauzonen der jeweiligen Wahrheiten, sie lotet die Zwischenräume aus und verwehrt sich gegen ein einfaches Gut-Böse-Schema und stellt damit so einiges infrage. Es geht um Kolonialismus, Macht, Identität und die Frage, ob und wie Gewalt in einem revolutionären Kontext eingesetzt werden sollte. Nicht nur Durga, auch wir als Leser*innen sind ständig aufgefordert, die uns liebgewonnenen Wahrheiten zu hinterfragen. Sanyal verweigert dabei die Antwort, sie lässt uns im Nebel der Geschichte selbst danach suchen. Da hilft auch der Auftritt von Sherlock Holmes nur bedingt. Ach ja, und Doctor Who spielt auch eine Rolle. Klingt wild? Ist es auch, aber dabei ein großer Spaß und sehr empfehlenswert!