Arztroman

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Die Protagonistin ist Notärztin und fährt auf einem Rettungswagen mit. Ihre Ehe ist gerade zerbrochen und sie versucht von ihrer Familie zu retten, was zu retten ist. Eigentlich flieht sie vor ihrem Privatleben in die Einsätze, die ihr mit vorgegebenen Abläufen Sicherheit geben. Das beruhigt sie, die Freiheit des Privatlebens mit dem Zwang zu Entscheidungen und Initiativen macht ihr Angst. Irgendwie wird in dem Buch ein Notarzteinsatz nach dem anderen beschrieben. So grundätzlich ist das ja mal ganz interessant und von der Dramaturgie her durchaus sinnvoll, aber der Autor übertreibt es ein bisschen. Das halbe Buch besteht daraus. Völlig unnötig, ich habe nicht vor, die Anleitung zum Luftröhrenschnitt bei meiner Nachbarin anzuwenden. Das sollte doch ein Roman werden und nicht das Handout einer Ausbildungsmesse mit dem Ziel, Nachwuchskräfte für das Gesundheitswesen zu gewinnen. Auch braucht nicht unbedingt jeder Leser eine detaillierte Beschreibung davon, wie jemand Blut in einen Beutel kotzt. Dieser Interessentenkreis holt sich sowieso eher ein Video über ein Kettensägen-Massaker. Von der eigentlichen Handlung kommt bis Seite 108 eigentlich nichts rüber, es werden lediglich die Protagonisten in ihrer jeweiligen Lebenssituation dargestellt. Dabei betreibt der Autor für meinen Geschmack viel zu viel Schwarz-Weiß-Malerei. Die gute ist so gut und die Böse ist so böse. Auch agiert die gute Anita wenig nachvollziehbar, so ungeschickt ist doch fast keiner. Insgesamt ist der Autor so intensiv mit der Beschreibung seiner Notarzteinsätze und der Beschreibung der Umgebung beschäftigt, dass er darüber die eigentliche Story vergisst. Das Ganze lähmt die Geschichte irgendwie. Sie läuft nur im Hintergrund, der Leser ist davon getrennt und sieht sie nur wie durch ein Nebelfeld. Die Proportionen stimmen einfach nicht. Nach der ganzen Umgebungs- und Einsatzbeschreiberei hätte der Roman ruhig 900 Seiten haben dürfen und nicht nur 315. Der letzte Einsatz ist irgendwie Sinnbild für die gesamte Geschichte: Viel Rauch um nichts. Das ist eigentlich sehr schade, denn der Autor kann eigentlich schreiben, er hätte das Zeug dazu, ein wundervolles Buch hinzukriegen, wenn er darin sein eigentliches Thema etwas mehr berücksichtigen würde.