Arztroman ist nicht gleich Arztroman

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sillesoeren Avatar

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Nein, dies ist kein typischer Arztroman, in dem sich die Krankenschwester - wahlweise die schwerkranke Patientin - in den gutaussehenden, erfolgreichen, charmanten Oberarzt/Chefarzt verliebt. Dieser etwas andere Arztroman zeigt die Realität. Eine taffe Ärztin erlebt am eigen Leibe, wie sich die Angehörigen ihrer Patienten fühlen müssen, als sie ihren Mann als Hilflose Person findet. Über diese HiLuPe's lästert man ja im allgemeinen im Rettungsdienst und Krankenhaus ab - ohne Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen und Angehörigen.

Doch es geht um mehr: Die Protagonistin Anita ist Notärztin aus Überzeugung, hilft wo sie kann und setzt sich zum Wohle ihrer Patienten auch schon 'mal über Richtlinien hinweg. dabei half ihr in der Vergangenheit auch immer ihr ebenfalls als Arzt tätiger Exmann. Doch seine neue Frau krempelt ihn vollkommen um. Er tut Anitas Handeln als unnötig und das Gesundheitssystem schädigend ab, sie muss sich als "Gutmensch" (ist das wirklich inzwischen ein Schimpfwort?) beschimpfen lassen und auch der gemeinsame 14-jährige Sohn klopft schon Sprüche, die an Arroganz kaum zu überbieten sind. Anita wird immer aggressiver, als sie erlebt, dass ihr Exmann und ihr Sohn meinen, jeder sei seines Glückes Schmied - wer krank, abhängig oder erfolglos ist, sei eben schwach und selbst daran schuld.

Die Wut und Hilflosigkeit der Notärztin ist in jeder gelesenen Zeile zu spüren, ich könnte als Leserin selbst platzen vor Wut über die überheblichen Sprüche und kann manches Verhalten nur zu gut verstehen. Doch müssen sich Anita und die Leser eben auch eingestehen, dass Idealismus im Alltag nur selten funktioniert und sie ihn gleich zweimal über Bord werfen muss - sowohl beruflich, als auch privat bei der Vorstellung, dass man immer noch Teil seiner "alten Familie" ist, obwohl Exmann und Sohn nun mit einer anderen Frau zusammen leben, die noch dazu so aalglatt perfekt ist, dass es mir in den Finger juckt, zu ihr ins Buch zu klettern und die perfekte Frisur zu zerrupfen.

Der Alltag im Rettungsdienst ist realitätsnah und detailliert beschrieben. Ja, solche Fälle erlebt man im RTW oder NEF. Dabei gerät es aber nicht zu einer Schlacht mit Fachbegriffen, alles wird gut erklärt auch für fachfremde Leser. Auf diese Weise entsteht ein spannender Roman mit einer guten Mischung aus Dramatik, Liebe, Leid und Humor.