Bitte verfilmt mein Buch

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
wolfgangb Avatar

Von

Brenna Spector ist Privatdetektivin. Seit dem Verschwinden ihrer Schwester im Kindesalter leidet sie unter dem hyperthymestischem Syndrom, das sie in die Lage versetzt, sich an kleinste Details, die sie jemals erlebt hat, zu erinnern. Das Leid wird jedoch dadurch relativiert, daß die Krankheit sich in ihrem Beruf immer wieder als nützliche Gabe erweist. Als ein neuer Auftrag, ein verschwundenes, nur auf einem Internetvideo undeutlich zu erkennendes Mädchen, an sie herangetragen wird, ist Brennas Interesse geweckt. Die schattenhafte Gestalt erinnert sie auffallend an ihre Schwester. Ihre Nachforschungen führen sie in ein zwielichtiges Milieu, und je weiter sie vordringt, desto mehr beschleicht sie der Verdacht, auf raffinierte Weise geködert worden zu sein.

Die 23 Kapitel des aktuellen Romans der amerikanischen Autorin Alison Galyin werden in auktorialer Perspektive mit oftmaligen Wechseln zwischen den Figuren erzählt, wobei naturgemäß die Hauptfigur Brenna Spector den größten Raum einnimmt. Ebenso wie diese Wechsel wird der Erzählfluß durch zahlreiche spontanen Erinnerungen aufgelockert, die kursiv gesetzt und grammatikalisch durch den Präsens markiert sind. Diese Form bewirkt jedoch zugleich eine stärkere inhaltliche Bindung des Lesers an den Text, da die in den Flashbacks vermittelten Informationen nicht immer nützen, sondern oft irritieren. Damit wird genau die Unfähigkeit Brennas, durchgehend in der Gegenwart zu leben, anhand eines Stilmittels für den Leser spürbar gemacht.

Durch die Erzählung aus der Sicht verschiedener Figuren türmt die Autorin einen Haufen bunter Puzzleteile vor dem Leser auf und läßt ihn vorerst hilflos darin wühlen. Nach und nach offenbart sich ein Netzwerk aus Hintermännern mit nicht immer aufrichtigen Interessen, sodaß der Leser, neugierig auf das Gesamtbild, die Detektivin förmlich antreiben will, um sich über jedes neu gefundene passende Puzzleteil mit ihr zu freuen.

Ein zentrales Thema des Romans sollte eigentlich Brennas absolutes Gedächntnis darstellen. "Es gibt gute und schlechte Erinnerungen [...], ich kann sie mir nicht aussuchen", kommentiert sie an einer Stelle die Erinnerunggsplitter, die regelmäßig ihren Alltag durchbrechen. Ob es nun Segen oder Fluch ist, wenn man zwar aus jedem einmal gesehen Film zitieren kann, die Fähigkeit des auch heilsamen Vergessens verwehrt bleibt, böte viel Raum für spannende Überlegungen, der hier nur unzureichend genutzt wird.

Stattdessen konzentriert sich die Autorin auf das dem Rezipienten Sichtbare. Dazu gehören Interaktionen zwischen den Figuren - entsprechend dialoglastig ist der Stil - ein Plot, der sich um Filme mit strenger Altersbeschränkung dreht und eben die Flashbacks. Zusammen mit den Szenenwechseln ergibt dies die hinlänglich aus dem Fernsehen bekannt Erzählstruktur. Die Autorin ist offensichtlich der Meinung, daß die Geschichte um Brenna Specter unbedingt verfilmt werden sollte. Und ganz offensichtlich ist ihr entgangen, daß dies bereits in Form der TV-Serie "Unforgettable" passiert ist, die auf einer Kurzgeschichte aus 2008 beruht und in der eine Privatdetektivin seit dem Verschwinden ihrer Schwester über ein Gedächtnis verfügt, das nicht vergessen kann.

Weiters scheint der Autorin nicht daran gelegen zu sein, Literatur für die Ewigkeit zu schaffen. Durch den vielfachen Einsatz von Technologien und Anwendungen wie Twitter, Foursquare, Youtube und Facebook hätte der Roman vor fünf Jahren noch nicht auf die gegebene Weise funktioniert, und es ist gut möglich, daß mögliche Leser in fünf Jahren darüber verständnislos den Kopf schütteln werden. Bemerkenswert ist jedoch die straßennahe Sprache, die einen Hauch von amerikanischem Westküstenatmosphäre vermittelt. Sarkastisch ist vom "Lachen eines durchschnittlichen Kidnappers" die Rede, der Name der Hauptfigur wird lässig als "B. Spec." abgekürzt, und auf den Wunsch "Halt die Ohren steif" antwortet ihr Assistent Trent mit "Seit wann sind Pornos für die Ohren da?"

Fazit:
Schnelle Schnitte, rasche Bilder und ein aktueller Fall für die Detektivin, der mit einer fortsetzungstauglichen übergeordneten Geschichte verschmilzt, verwandeln das Buch in eine spannende Episode einer TV-Serie zum Lesen. Nicht mehr und nicht weniger. Paradoxerweise wird man sich daran wohl nicht allzu lange erinnern.