"Grenzen sind die Narben der Geschichte" - Friedrich Ratzel

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monika_brigitte Avatar

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Vorab zum Nachgrübeln: Welches Land von den nachfolgenden hat die meisten Meereszonen? (Auflösung in der Rezi sowie im Sachbuch)

A: Australien

B: Frankreich

C: Kanada

Kartografie mal anders und aktueller denn je findet sich in diesem Sachbuch. Es vermittelt durch übersichtliche und modern illustrierte Kartenabbildungen, Schaubilder und Info-Grafiken sowohl geopolitische Zusammenhänge als auch Besonderheiten und Kuriositäten. Beispielsweise gibt ein Hotel, dass auf der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz liegt, für Paris ist das Hotel „Arbez“ klar französisch, für Bern ist es schweizerisch. Selbst Golfplätze und kleinste Inseln können durch Grenzen geteilt sein.

Doch, was ist eigentlich eine Grenze? Auch grundlegende Infos gibt der Atlas. Eine Grenze ist „eine geografische Begrenzung in Gestalt einer Linie oder Fläche, deren Verlauf das Verhältnis zwischen zwei Menschengruppen widerspielgelt, sei es geprägt von einem militärischen oder diplomatischen Machtgefälle oder aber von Traditionen oder gutnachbarlichen Beziehungen.“ (S. 10)

55% aller Grenzen sind natürlichen Ursprungs, sie verlaufen entlang von Flüssen, Gebirgen und Tälern. Die restlichen 45% sind künstlich erschaffen, von Menschenhand durch kulturellen, geschichtlichen und religiösen Ursachen.

Was meinen Sie, welche die älteste Grenze ist? Oder, welche die längste, die kürzeste, die meistfrequentierte? Es gibt in diesem Buch so viel Spannendes und Interessantes zu entdecken. Tagelang habe ich mich immer wieder intensiv mit ihm beschäftigen können. Es ist erstaunlich, wie viele Grenzen – national wie international – es gibt. Zum Nachschlagen und Verweilen eignet sich der Atlas ausgezeichnet.

Doch auch ernste geopolitische Themen behandelt das Sachbuch. Es gibt aktuelle Bezüge zur Europäischen Union, zu Russlands Machtstreben und den Entwicklungen im Orient. Der Blickpunkt ist europäisch geprägt, was der Tatsache geschuldet ist, dass die AutorInnen Franzosen sind. Oh, was mich auf die Eingangsfrage zurückbringt: Frankreich hat tatsächlich 10,9 km² Meereszone und damit mehr Meeresgrenzen als Australien (9 km²) oder Kanada (5,8 km²). Aufgrund der Kolonialisierung im 18. und 19. Jahrhundert stehen noch heute viele Gebiete unter französischer Herrschaft. Die USA besitzt übrigens mit 12,2km² die meisten Meereszonen.

Besonders grafisch machen die Karten etwas her und eröffnen eine neue Perspektive. Ein Fehler auf Seite 164 ist mir allerdings aufgefallen. In der Legende zur Karte wird eine 1 benannt, die in der Karte nicht eingezeichnet ist.

Die Texte beinhalten viele Informationen auf engem Raum, die Schrift ist gut gewählt und hat eine angenehme Größe zum Lesen. Die Einteilung im Inhaltsverzeichnis gefällt mir, sie ist übersichtlich und objektiv sinnvoll gegliedert. Der Titel des Sachbuchs ist etwas unglücklich gewählt, unordentlich wirkt das Buch über Grenzen zu keiner Zeit.

Fazit

ATLAS DER UNORDNUNG von Delphine Papin und Bruno Tertrais ist ein wahrer Augenschmaus für alle Geografie-Nerds. Mit 60 detaillierte Karten und zahlreichen Fakten über sichtbare, unsichtbare & sonderbare Grenzen lädt der Atlas zum Studieren und Weitergeben der Informationen ein. Das Sachbuch eignet sich u.a. gut als Geschenk. Wegen der Häufung kleiner Mängel gibt es einen Punktabzug.

Atlas der Unordnung| Delphine Papin/ Bruno Tertrais| wbg Theiss| März 2022| 175 Seiten| 28,00€