Lisbeths 38.949,5 Dinge des Lebens

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1) Inhalt

Seit Lisbeths schwieriger Kindheit leidet sie an einer gestörten Persönlichkeit, die sich unter anderem in einem ständigen Zählzwang zeigt. Möglicherweise ist die Mutter an dieser Entwicklung schuld. Ihre Jugendzeit hat Lisbeth auf dem Bauernhof ihrer Tante verbracht, allerdings nicht im Haus, sondern in einem Zelt. Auch hier ist unklar, inwiefern das der Wunsch der Tante oder Lisbeths eigener Wille gewesen ist. Auf dem Bauernhof entwickelt sie eine Freundschaft zu dem Schaf Paul, das ebenfalls eine schwierige Persönlichkeit aufweist. Später zieht sie nach Berlin in eine Wohnung, die ihre Tante bezahlt hat und riesig ist, sodass Lisbeth sie als „Hallenbad“ bezeichnet. Auch hier verfolgen sie jedoch ihre Probleme.
Die Handlung des Romans besteht darin, dass Lisbeth versucht, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Dabei lernt sie verschiedene Menschen kennen, unter anderem den alten Paul, ein ehemaliger Punker, der in einer Punker-Hausgemeinschaft lebt und sie unter seine Fittiche nimmt. Als die Tante den Bauernhof an Edgar verkaufen will, den Lisbeth schon seit ihrer Kindheit kennt, droht alles noch mehr aus dem Ruder zu laufen …

2) Sprache / Stil

Der Roman ist in einer unkomplizierten Alltagssprache verfasst und verwendet eine sehr gewöhnliche Ausdrucksweise. Anfangs ist diese Strategie wenig nachvollziehbar, mit dem Fortgang der Handlung wird jedoch immer klarer, dass diese Art der Sprache wichtig für Lisbeth Charakterisierung ist. Die Verwendung der Alltagssprache stimmt auch weitgehend mit dem eher wenig tiefgreifenden Inhalt überein.

Die Autorin hat den Zählzwang der Protagonistin sprachlich sehr anschaulich dargestellt, Lisbeth verwendet ständig Aufzählungen in ihren Gedankengängen:

„Sie fahndete unter der Spüle, fand – zwischen gezuckerter Kondensmilch, 1 Tüte Zucker, 1 angebrochene Tüte Mehl, 7 Dosen Dosentomaten, 3 Päckchen Spaghetti, 3 Päckchen Schlagsahne, 1 Tüte Sternanis, 5 Büchsen Makrelenfilets, 1 Glas Sülze und 1 Glas Blutwurst – sogar 2 Gläser mit Leberwurst, machte eins auf, verteilte sie großzügig auf ihrem Croissant und setzte sich wieder zu der Amsel.“ (S. 145)

Eine weitere Eigenheit stellen die durchgestrichenen Zahlen und Wörter dar, denen die LeserInnen immer wieder begegnen. Lisbeth streicht dabei gedanklich alles durch, was sie eigentlich nicht denken möchte:

„Sie setzte sich damit auf eine Bank mit 43 Streben, sah den Pärchen ohne, 7, und den Pärchen mit Kindern, 4, unglücklich bei ihrem ganzen Glücklichsein zu.“ (S. 58)

Die einzelnen Kapitel sind durchwegs mit Überschriften gekennzeichnet, die inhaltlich jeweils einen Ausblick auf das folgende Kapitel geben. Das erleichtert es, einen Überblick über die manchmal nur wenig voranschreitende Handlung zu behalten.

Hin und wieder arbeitet die Autorin außerdem mit Fußnoten, die zur Erklärung oder als Verweis auf einzelne Textstellen eingesetzt werden. Allerdings erscheinen diese mehr oder weniger überflüssig und treiben die Handlung weder voran, noch sind sie für ihren Fortgang bedeutend.

3) Kritik

Zu Beginn des Romans wird die Persönlichkeit von Lisbeth, die durch ihre zahlreichen Probleme ja ausschlaggebend für das gesamte Werk ist, nur wenig herausgearbeitet. Erst allmählich zeigen sich ihre Eigenarten und Störungen deutlicher, was es allerdings erschwert, in die Handlung und den Roman an sich hineinzufinden.

Insgesamt ist zu sagen, dass der Roman eher wenig Handlung enthält. Das Buch möchte vielleicht zeigen, dass Probleme überwindbar sind und wie man über sie hinwegkommen kann – vor allem in der zweiten Hälfte des Romans, als Edgar in ihr Leben tritt, verbessert sich die Situation zusehends. Eine klare Intention wird allerdings nicht offensichtlich im Buch präsentiert. Die Autorin versucht außerdem, ihre Geschichte amüsant zu gestalten, das funktioniert allerdings nicht immer überzeugend.

Ein Lichtblick in der durchwegs skurrilen und eher unglaubwürdigen Handlung ist das Schaf Paul, das die Geschichte durch seine Liebenswürdigkeit deutlich aufwertet. Mehr als einmal verleitet es durch seine ganz eigene „gestörte Persönlichkeit“ zu einem Lächeln, was die Gratwanderung zwischen skurriler und beängstigender Romangrundlage weiter zuspitzt.

Eine weitere inhaltliche Besonderheit des Romans stellen die Nothefte dar, die Lisbeth für jegliche Situationen und Notfälle selbst verfasst. Ständig ergänzt sie darin Notizen oder Lösungen für schwierige Situationen:

„Lisbeth tippte 3 Mal auf das Kinderbesteck am Kopfende des Feldbetts und schrieb 6 Zeilen in das Notheft (Nr. 9).“ (S. 97)

Das Titelblatt ist insofern überzeugend gestaltet, als die Autorin es damit geschafft hat, die kindlich-naive Persönlichkeit der Protagonistin sowohl einzufangen, als auch in ein positives Licht zu rücken. Die für die Handlung so bedeutenden Zwänge der Lisbeth bleiben jedoch außen vor.

4) Empfehlung

Der Roman eignet sich möglicherweise für Personen mit ähnlichen Erfahrungen und kann für diese vielleicht als Spiegel auf die eigene Persönlichkeit wirken. Um eine Lösung aus den Problemen zu finden, ist das Werk jedoch wenig hilfreich. Durch die sprachlich wenig anspruchsvollen Formulierungen eignet es sich jedoch gut als Lektüre für Zwischendurch oder für entspannte Urlaubstage – durch die zahlreichen inhaltlich nur wenig ansprechenden Sequenzen ist ein wenig Durchhaltevermögen jedoch vermutlich nötig.