Schöner Sommerroman über die Liebe

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marionhh Avatar

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Lisbeth Ritter ist 23,7 Jahre alt, hat einen schweren Zähltick und auch sonst einige Macken und wird von ihrer Tante Ruth aus dem heimatlichen Dorf Bückschitz in Brandenburg ins große Berlin verfrachtet. Sie findet einen Job als Lektorin und Anschluss an eine Kreuzberger Alt-Hippie/Alt-68er-Kommune voller schräger Typen, allen voran Original Paul, der sie unter seine Fittiche nimmt. Trotzdem fühlt sich Lisbeth einsam und vermisst ihre Tante Ruth und ihr Schaf Paul ganz schrecklich. Als ihre Tante ihr eröffnet, dass sie Haus und Hof verkaufen will, fällt Lisbeth aus allen Wolken: Der potentielle Käufer ist Edgar, „Drops“, dessen kindliche Küsse sie nie vergessen hat. Fortan schwankt Lisbeth zwischen Verlustängsten, Wut auf Ruth und wechselweise Aggression und Verliebtheit gegenüber Edgar, der ihr aber immerhin das Schaf Paul vorbei bringt, das zunächst im Schrebergarten der Kommune ein vernachlässigtes Dasein fristet.

Als das Haus der Wohngemeinschaft einen Wasserschaden hat, quartiert Lisbeths Kumpel Paul kurzerhand alle bei Lisbeth ein, hat sie doch eine große, fast leerstehende Altbauwohnung, und mit ihrem ruhigen, geregelten und einsamen Leben ist es vorbei. Lisbeth lernt kochen, verliert ihren Job, hat trotzdem jede Menge zu tun und versucht sogar, eine richtige Frau zu sein, was ihr mal mehr, mal weniger gut gelingt. Als ihr Freund Paul stirbt, verkriecht sie sich, bis der treue Edgar sie aus ihrer Lethargie reißt und sie duscht und füttert. Nach und nach findet sie zurück ins Leben, schmeißt zusammen mit den anderen eine Beerdigungsfeier, die Paul gefallen hätte, versöhnt sich mit Ruth, findet einen neuen Job, verliebt sich noch mehr in Edgar, und die anderen beziehen ihre sanierten Wohnungen wieder. Mit der Einsamkeit jedoch hat Lisbeth abgeschlossen, und selbst ihr hochbegabtes Schaf Paul findet die Liebe seines Lebens.

Ein wunderschöner, leichter und zeitweise sehr zu Herzen gehender Roman über eine junge Frau, die keine leichte Kindheit hatte und die doch, trotz ihrer Schüchternheit, ihr Glück selbst in die Hand nimmt. Humorvoll und mit sachlichen, mitunter schnoddrigen, aber sehr treffenden Worten erzählt die Autorin, wie Lisbeth versucht, dem Leben positive Seiten abzugewinnen und ihre durcheinander geratene (Gefühls-)Welt zählbar und damit kontrollierbar zu machen. Lisbeth ist nicht gerade ein leichter Charakter, aufgrund ihrer unzuverlässigen Mutter von Verlustängsten geplagt, die einzige Konstante in ihrem Leben ist Tante Ruth. Die wird nun auch älter und will sich nicht mehr um alles kümmern müssen. Lisbeth in ihrer Ichbezogenheit will nicht erwachsen werden und muss erst lernen, dass der Verlust von Haus und Hof, die für sie Heimat und damit Sicherheit bedeuten, nicht zwangsläufig den Verlust eines geliebten Menschen bedeutet. Im Gegenteil, sie gewinnt mit Edgar einen treuen Gefährten dazu. Bei Edgar, der womöglich noch schüchterner ist als sie selbst, muss sie selbst die Initiative ergreifen, es ist ihre Entscheidung, wen sie erwählt und was sie mit ihrem Leben machen will.

Dabei helfen ihr nicht zuletzt die köstlichen Alt-Hippies, die ein bisschen in die Jahre gekommen sind, aber immer noch voller Kampfgeist und Freundschaft und Lebensgefühl. Allen voran Paul, ohne den Lisbeth es im großen unpersönlichen Berlin niemals geschafft hätte. Anfangs lässt Lisbeth einfach alles geschehen, sie lässt sich treiben, isst Leberwurstbrote und fühlt sich von allen verlassen. Paul nimmt sie unter seine Fittiche, bringt sie unter im warmen Schoß der Gemeinschaft und zeigt ihr, wie man das Leben genießen kann. Als die Hausgemeinschaft bei ihr einzieht, ist sie zunächst entsetzt, so viele Menschen so eng in ihre Privatsphäre lassen zu müssen. Doch nach und nach beginnt sie, sich um alles zu kümmern, für die anderen da zu sein und zu helfen, ohne viel Worte zu machen. Lisbeth ist sowieso kein Mensch großer Worte. War sie anfangs noch zu sehr mit sich beschäftigt und eher Außenseiterin, reift sie zusehends zu einem erwachsenen und selbstbestimmten Menschen. Sie nimmt vieles selbst in die Hand, gibt Anstöße und bringt Ideen ein, um die Dinge ins Rollen zu bringen. Ein paar ihrer „Macken“ wird sie sicherlich nie ganz ablegen, aber genau das macht sie so einzigartig und liebenswert.

Fazit: Ein Buch der leisen Töne, zum Schmunzeln und zum Schluchzen. Lisbeth muss man einfach gerne haben, sie weckt Beschützerinstinkte, man möchte sie in den Arm und an die Hand nehmen und ihr die Welt zeigen. Zum Glück geht für sie alles gut aus, sie lernt selbstbewusst und selbstbestimmt ihren Weg zu gehen und sich zu nehmen, was sie will. Originelle Charaktere und flüssiger Erzählstil machen das Buch zu einem Pageturner. Und am Ende hat für Lisbeth die Liebe nicht nur drei, sondern ganz viele Seiten und Facetten, sie wird geliebt und liebt zurück, und sie fällt weich in den Schoß der Gemeinschaft. Ein Buch für die stilleren Stunden, nicht der vollen Action, des lauten Lachens, sondern zum Mitleben und Mitfühlen.