Nicht nur kurz grandios

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singstar72 Avatar

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Hier haben wir es wirklich mit einem außergewöhnlichen Stück Literatur zu tun, und das in jeder Hinsicht. Sprache, Form, Thematik und Aufbau geben ein schillerndes Gesamtbild ab, das in der Gegenwartsliteratur seinesgleichen sucht.

Das Buch wird als „Briefroman“ bezeichnet. Aber ist es das wirklich? Diese Beschreibung kratzt nur an einer winzigen Ecke des Buches, des Textes. Erstens einmal sind es nicht wirklich Briefe – denn die vorgebliche Adressatin, die Mutter des Erzählers, ist Analphabetin, und wird die Texte nie lesen können. Und zweitens zweifle ich auch am Etikett „Roman“, ohne das jedoch negativ zu meinen…!

Es liest sich vielmehr wie ein Tagebuch, allerdings ein traumhaftes Tagebuch. Die assoziierten Sequenzen folgen keiner ersichtlichen Ordnung – obwohl der Erzähler, ein junger vietnamesischer Mann, am Anfang behauptet, „hier“ nun die Geschichte zu beginnen. Aber es gibt wilde Zeitsprünge. Mal ist er in seiner Erinnerung 4, dann wieder 11 oder 8 Jahre alt. Immer wieder leuchten Szenen aus seiner Kindheit wie Gewitterblitze vor seinem geistigen Auge auf.

Das Thema sind entweder Szenen mit seiner Mutter, die nicht selten mit deren Gewaltausbrüchen zu tun haben. Oder es geht um die Großmutter, die wiederum ein ganz eigenes „Problem“ hat – sie ist offenbar schizophren, was auf das Kind eine halb faszinierende, halb abstoßende Wirkung hat.

Wunderschön gewählt finde ich das Leitmotiv der Monarchfalter. Er vergleicht seine Generation von Migranten mit diesen schillernden Insekten. Auch er und seine Landsleute, wie viele andere Flüchtlinge in Amerika, sind „Überlebende“, vertrieben von offenbar undurchschaubaren Naturgesetzen. So will er es sich jedenfalls erklärbar machen.

Immer wieder angedeutet, scheinen jedoch die Gewalterfahrungen durch, die Mutter und Großmutter in Vietnam machen mussten. Sie erschrecken vor lauten Geräuschen, missverstehen Feuerwerk und Böller als Bombeneinschläge, und etliches mehr. Das macht die Figuren dem Leser ein wenig verständlicher, obwohl eine irgendwie verklärt wirkende Distanz bestehen bleibt. Eben wie in einem Traum.

Das Ganze wird vermittelt durch eine poetische, magische, ja unerhört innovative Sprache mit Metaphern, die kraftvoll und doch zugleich zart sind. Das liest sich schon fast nicht mehr wie Prosa, sondern wie Lyrik…!

Mich interessiert an dem Buch vor allem, wie es weitergehen und enden wird. Denn es ist ja eher eine Lebensbeichte und Nabelschau als ein Roman, als eine Geschichte. Werden die Traumsequenzen immer so weitergehen? Was will der Schreiber eigentlich bezwecken? Und wird er sich im Laufe des Schreibens mit seiner Mutter aussöhnen? Das alles sind Fragen, die ich sehr gerne beantworten würde.