Begeisterndes Debüt

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krimielse Avatar

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Allein mit der überwältigenden Idee, nämlich über sein Alter Ego „Little Dog“ in einem Briefroman mit seiner Mutter zu kommunizieren, die als Überbleibsel vom Vietnamkrieg traumatisiert, prügelnd, und als Analphabetin die an sie gerichteten Briefe nie lesen wird, hat der junge Autor Ocean Vuong seine Leserschaft sofort gepackt. Dass der für seine Lyrik preisgekrönte Autor den betörende sprachlichen Rhythmus und die angenehme Knappheit und Wichtigkeit von Wörtern der Lyrik in einen Roman zu transferieren vermag, das beweist er mit seinem Debüt „Auf Erden sind wir kurz grandios“ auf phänomenale Art. Man muss nicht einmal Briefromane mögen, um das Buch wie ich großartig zu finden.
Natürlich erfordert der Text viel Aufmerksamkeit, und mit all seiner Zartheit und Poesie und bildhafter Symbolik fällt dies nicht sehr schwer.

Liebevoll und zärtlich und zugleich voller Gewalt sind die Bruchstücke, mit denen der Autor seine Mutter anspricht. Sie ist die Tochter eines amerikanischen Soldaten und eines vietnamesischen Bauernmädchens, arbeitet im Nagelstudio, kann nicht lesen und spricht fast kein Englisch.
Ihr Sohn, der Außenseiter, wächst in harten Immigrantenverhältnissen auf, soziales und familiäres Brachland ohne wirklichen Platz für einen kleinen schmächtigen Jungen.
Er hilft seiner Mutter im Nagelstudio, studiert später, verliebt sich in den drogensüchtigen Erntehelfer Trevor. Das Verhältnis der beiden jungen Männer basiert auf Unterwerfung. Trevor als Sinnbild des weißen rassistischen maskulinen Vorstadt-Amerika versus dem asiatischen kleinen geprügelten Migranten ohne wirklichen background, der sich unterwirft. Damit ist die Geschichte zugleich ein Sittengemälde Amerikas um die Jahrtausendwende.

Gewalt und Unterdrückung verpackt in Metaphern voller Poesie, Genreausflüge und die Gratwanderung zwischen Lyrischer Knappheit und Prosaischer Erzählstruktur machen das Buch zu etwas Besonderem und Neuem. Einen chronologischen roten Faden gibt es nicht, man muss sich als Leser das Puzzle aus Splittern selbst zusammensetzen, in denen rohe Gewalt und fragile Zartheit einfach haltlos aufeinander prallen. Atemberaubend nannten viele Besprechungen das Buch, und ich kann mich dem nur anschließen.

Ocean Vuong, 1988 in Saigon geboren, kam mit zwei Jahren nach Amerika und lebt heute dort. Für seine Lyrik würd er bereits mehrfach ausgezeichnet.