Leben zwischen den Welten

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hennie Avatar

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„Ich schreibe dir, weil ich nicht derjenige bin, der geht, sondern jener, der mit leeren Händen wiederkommt.“

Das sind einige der Worte, die der vietnamesische junge Mann – im Roman als „Little dog“ bezeichnet - an seine Mutter formuliert, die der englischen Sprache nur bruchstückhaft mächtig und außerdem Analphabetin ist. Er schildert seine Gedankenwelt in chronologischer Unordnung zu allen denkbar möglichen Themen meistens in der Ich-Form. Dadurch ergibt sich für mich ein fragmentarisches Gesamtbild, dem ich oft nur schwer folgen konnte und das ich erst zum Ende des Buches in seiner ganzen Tragweite erfaßte und zusammensetzen konnte. Es macht Mühe diesen Roman zu lesen, aber es lohnt sich. Da ich dieses Buch als ebook las, fiel es mir außerdem schwerer als sonst der Geschichte zu folgen.
Nur langsam entwickeln sich die Zusammenhänge, die im wesentlichen die Lebensgeschichten von Mutter Rose, Großmutter Lan sowie die des Jungen abbilden. Die Mutter ist das Produkt eines vergessenen Krieges, die Großmutter wurde krank an Körper und Geist über die Jahre und der Junge versucht seine Rolle in dem Chaos zu finden. Er schreibt auch, um seine eigenen traurigen, schlimmen Erlebnisse für sich zu verstehen. Zum Beispiel sterben viele seiner Freunde an den Folgen der Drogensucht. Besonders tragisch schildert "Little dog" immer wieder den Tod seines Freundes, mit dem ihm eine innige, intime Liebe verband.
„Man sagt nichts hält ewig, dabei hat man nur Angst, dass es länger hält, als man es lieben kann.“
Ich erfuhr hier eine Geschichte, die sich zwischen den Welten von Amerika und Vietnam bewegte, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Es wird philosophiert, analysiert, nach Erklärungen gesucht, vieles angerissen, aber in der Schwebe gehalten, mal laut und gewaltig, mal leise und voller Harmonie... Zuviel für dieses eine Buch? Meine Antwort lautet: Ja! Ich hätte definitiv mehr Zeit gebraucht, um alles zu verstehen. Doch ich hatte mir das ebook nur ausgeliehen in der Bibliothek.

Der Roman wird erzählt mit einer unglaublichen, literarischen Wucht. Ocean Vuong beschreibt das Leben des vietnamesischen jungen Mannes und das Drumrum in einer erzählerischen Dichte, mit unglaublicher Poesie und Empfindsamkeit und einer Wortwahl zwischen zart und brutal. Da sind plötzlich Gedichte, wie aus dem Zusammenhang gerissen und immer wieder spielen Monarchfalter eine sinnbildliche Rolle für verschiedene Attribute im menschlichen Leben.

Einen Bezug zum Titel „Auf Erden sind wir nur kurz grandios“ lieferte der Autor über den gesamten Roman. Das Cover mit dem Reh ist sehr passend.

Fazit:
Wenn es Vuong gelingt mehr Struktur in seine künftigen Erzählungen zu bringen, kann er ein großer Schriftsteller werden.
Das Debüt ist ihm gelungen. Er erzielte meine Aufmerksamkeit.

Ich bewerte mit vier von fünf Sternen!