Vereint Poesie mit hemmungsloser Direktheit

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glücksklee Avatar

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Der erste Roman des Autors Ocean Vuong „Auf Erden sind wir kurz grandios“, ist eigentlich ein sehr langer Brief an die Mutter des Protagonisten. In diesem „Brief“ werden unglaublich viele Themen angesprochen: Kriegstraumata, die die Mutter und Großmutter aus dem Vietnam-Krieg mit sich herumtragen, die gewalttätigen Ausbrüche der Mutter ihrem Sohn gegenüber, die Schizophrenie der Großmutter, was es bedeutet, sich in eine Kultur einzufügen, die einen selbst als fremdartig abstempelt, Drogenprobleme, eine erste tragische Liebe…
Dabei verfolgt der Autor in seiner Erzählung keinen linearen Erzählstrang. Immer wieder werden einzelne Fragmente beleuchtet, mal aus der frühen Kindheit des Jungen, der den ganzen Roman hindurch nur „Little Dog“ genannt wird und dessen wahren Namen man bis zum Schluss nicht erfährt, mal gewährt der Autor einen Einblick in das Leben der Mutter und Großmutter des Protagonisten, bevor diese nach Amerika kamen… was alle diese Fragmente (Kapitel wäre für mich hier nicht der richtige Begriff) gemeinsam haben, ist die Emotion, die durch sie transportiert wird. Das schafft der Autor zum einen durch eine sehr poetische Sprache, die immer wieder von hemmungslos direkt und offen formulierten Abschnitten durchbrochen wird. Die Schläge der Mutter werden beschrieben, aber eigentlich schwingt kein direkter Vorwurf an die Mutter mit in den Passagen, die sich damit befassen, sondern eher ein Gefühl von Traurigkeit, dass die Mutter, die mal so liebevoll ist, auch immer wieder in Ausbrüchen von Gewalt versinkt.
Einige Teile des Romans, vor allem zum Ende des zweiten der drei Abschnitte des Romans, waren mir ein wenig zu eklektisch. Es fiel mir hier schwer, den Überblick zu behalten, an wen sich die Aussagen richten oder von wem sie handeln. Vielleicht ist das aber auch durch den Autor so beabsichtigt. Der Großteil des Romans gibt dem Leser immer Anhaltspunkte, zu welchem Zeitpunkt im Leben von „Little Dog“ man sich gerade befindet.
Von mir erhält „Auf Erden sind wir kurz grandios“ vier von fünf Sternen. Es ist ein aufwühlender Roman, der den Leser berührt und fesselt, selbst über die letzte Seite hinaus.