Seestatt

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hasi84 Avatar

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Zwei völlig verschiedene Charaktere: Yada und Helena. Yada lebt auf einer künstlich geschaffenen Insel vor Deutschland, die mittlerweile schon in die Jahre gekommen und abgelebt wirkt. Einst als Schutz vorm Chaos der Welt wird die Insel nun von Algen überwuchert und vereinsamt zunehmend. Eine Insel mitten im Meer, weit weg von staatlichen Regeln und Steuern. Yada wurde von ihrem Vater dorthin gebracht, mit guten Absichten, sie vor der restlichen Welt abzuschotten und zu schützen. Doch Yada ist Wissenschaftlerin und sie fängt immer mehr an, gewisse Dinge zu hinterfragen. So ist ihre Mutter an einer seltsamen Krankheit gestorben und bei Yada zeigen sich ähnliche Symptome, wie zum Beginn dieser Erkrankung. Yada lebt ihr fast schon naives Leben in der Seestatt, bis sie drauf kommt, dass alles gar nicht so scheint, wie es ursprünglich geplant war. Lange war sie der Meinung, Seestatt ist nur deswegen so herunter gekommen, weil das Konzept von Anfang an nicht richtig umgesetzt wurde. Aber war es wirklich so? Und was hat es mit den vielen Vitamintabletten auf sich, die sie täglich nehmen muss? Nicht nur hier gibt es für die Protagonistin ein Aufwachen, sondern auch bezüglich ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Einstellung zur gesamten Welt. Auf der anderen Seite gibt es die sozialkritische und durchaus provokante Helena, eine Künstlerin, die durch ihr Verhalten völlig unfreiwillig zur Influencerin der Nation wurde. Die jungen Menschen fliegen nur so auf sie, obwohl sie sich schon lange aus der Welt von Social Media abgewendet hat. Egal, was sie macht, es wird dokumentiert. Ihre Kleidung, ihre Anwesenheit in der Welt, sowie ihre Abwesenheit. In sämtliche Schritte ihres Lebens wird etwas von der Community hinein interpretiert.

Ich habe mit „Auf See“ das erste Buch von Theresia Enzensberger gelesen. Dystopien haben mich schon lange fasziniert und dementsprechend viele habe ich auch schon gelesen. Hier haben wir es aber nicht einem typischen Jugendroman und dem entsprechenden Schreibstil zu tun. Der Roman ist in Anbetracht der derzeitigen weltpolitischen Lage berechtigt sehr gesellschaftskritisch geschrieben. Die Erzählstränge der beiden Protagonistinnen bleiben lange Zeit getrennt und somit bleibt lange unklar, was die beiden überhaupt miteinander zu tun haben. Genauso wenig erschließt sich einem anfangs der Zusammenhang zu den Geschichten aus dem Archiv, die immer wieder dazwischen gestreut werden. Diese Zwischensequenzen sind äußerst gut recherchiert, so erfährt man viel Interessantes über beispielsweise den korrupten Phosphatabbau auf Nauru, oder die Gründung der Scientology-Sekte. Das Buch ist eher anspruchsvolle Literatur, die zum Nachdenken anregt, aber auch genug Spielraum für eigene Interpretationen offen lässt. Die wechselnden Erzählstränge haben mir gut gefallen. Wer eine typische Dystopie im bekannten Stil erwartet, ist hier allerdings fehl am Platz. Natürlich spielt die Geschichte in einer weit, oder gar nicht so weit entfernten Zukunft, allerdings stehen gesellschaftspolitische und sozialkritische Themen im Vordergrund. Insgesamt ist der Roman zwar lesenswert, die Geschichte hinter den beiden Charakteren wirkt allerdings phasenweise etwas abgeflacht und fahl, daher gibt es von mir keine volle Punkteanzahl.