Emanzipation einmal anders

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annek Avatar

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Es ist eine Entdeckung, die man als Leser hier macht. Ein Roman, der in der Nachkriegszeit in Italien geschrieben wurde und aus der Sicht der Protagonistin die davorliegenden 10 Jahre beschreibt. "Aus ihrer Sicht " bedeutet dabei Zweierlei, einmal ganz persönlich als Erleben der jungen Frau aber auch immer weitergefasst als Beschreibung weiblicher Positionen. Alessandra ist ein intelligentes, sensibles Mädchen, das sehr aufmerksam über die eigene Person und gleichzeitig die sie umgebenden Menschen, v. a. die Frauen, reflektiert. Sie sucht ihren Platz, vergleicht mit den sich ihr bietenden unterschiedlichen weiblichen Lebensentwürfen und den Reaktionen darauf und sieht ihren Traum nur in einer gleichberechtigten Liebesbeziehung realisierbar. Die Mutter war daran tragisch gescheitert. Francesco scheint zunächst diesen Erwartungen zu entsprechen, wird aber dennoch zur großen Enttäuschung, was zur Katastrophe führt.
Der Roman besticht durch eine umfassende Beschreibung der italienischen Gesellschaft: Arbeiter- und Kleinbürgermilieu in Rom mit festgefügten Strukturen, an denen die Männer festhalten und denen die Frauen sich nur entziehen können, indem sie heimlich ( und dabei solidarisch) ihr eigenes Vergnügen suchen. Dafür hat die selbstbewusste Alessandra zwar Verständnis, aber sie sieht auch die Perspektivlosigkeit dahinter.
Im Dorf in den Abruzzen trifft sie auf die beeindruckende Großmutter, eine mit viel Sympathie gezeichnete Gestalt, die ein anderes Frauenbild verkörpert. Diese alte Matriarchin sieht in der jungen Alessandra ihr Ebenbild und glaubt, diese könne ihr Streben nach Liebe durch Befriedigung mittels Macht und Respekt seitens auch der männlichen Gesellschaft kompensieren. Sie wird die Einzige sein, die ihre Enkelin letztendlich versteht und verteidigt.
Das politische Umfeld bleibt lange Zeit im Hintergrund, es spielt anfangs nur nebenbei eine Rolle, wenn Alessandra fasziniert erfährt, dass Freunde verfolgt und verhaftet werden. Worum es konkret dabei geht, bleibt unklar- "sie sind nicht zufrieden" wird zum Synonym. In den Abruzzen scheint die Politik zunächst sehr weit entfernt zu sein, aber der Krieg beginnt und damit trifft auch dieser anfängliche naive Glaube an ein gefahrloses Abenteuer auf die Realität. Selbst später in Rom, als Francesco zunächst im Widerstand und dann in verantwortlicher politischer Position ist, bleibt das Historische recht vage. Als Leser sollte man sich spätestens hier die historischen Hintergründe ( Waffenstillstand, Republik von Salò..)ansehen. Alessandras Teilnahme am Widerstand wird v.a. als ihr Bemühen um aktives Beteiligtsein und nicht vordergründig an Zielen und Inhalten begründet.
Der Roman ist episch breit angelegt. Die Autorin schreibt mit viel Sympathie für ihre Helden, ihre Figuren, v. a. die Frauen, sind liebe- und verständnisvoll gezeichnet und auch die Männer, die insgesamt nicht gut wegkommen, werden nicht denunziert.
Es ist sehr flüssig geschrieben und die Übersetzerin, Karin Krieger, die bereits Elena Ferrante übertragen hat, trägt sicher Anteil daran.
Insgesamt ein lesenswertes Buch, das im Gedächtnis bleibt.