Enttäuschend!

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leukam Avatar

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Alba des Cespedes, 1911 in Rom geboren und 1997 in Paris gestorben, war eine italienische Schriftstellerin, Journalistin und Widerstandskämpferin. Der Suhrkamp-Verlag lädt nun die deutsche Leserschaft ein, die fast vergessene Autorin zu entdecken. 2022 erschien ihr Roman „ Das verbotene Notizbuch“ und nun „ Aus ihrer Sicht“, das als ihr Hauptwerk angekündigt wurde. Beide Romane sind Neuübersetzungen.
„ Das verbotene Notizbuch“ habe ich gerne gelesen und war nun voller Vorfreude auf diesen Roman.
Die Geschichte beginnt in den späten 1920er Jahren und endet kurz nach der Befreiung Roms durch die Alliierten im Jahr 1944. Protagonistin ist Alessandra Corteggia, die Ich- Erzählerin. Sie wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Der Vater ist ein steifer Bürokrat, während die Mutter, aus einer Künstlerfamilie stammend, sich für schöngeistige Dinge interessiert. Die Ehe des ungleichen Paares wird durch den Tod des dreijährigen Sohnes noch stärker belastet. Alessandra, kurz danach geboren, fühlt sich als mangelhafter Ersatz für den Bruder. Die Verbindung zur Mutter aber ist inniglich. Die, eine begabte Pianistin, verschafft dem Mädchen Zugang zu Musik und Literatur. Aber gleichzeitig legt sie den Grundstock für das idealisierte Bild von der Liebe, das Alessandra ihr Leben lang hat.
Nach dem tragischen Tod der Mutter wird die Heranwachsende zu Verwandten in den Abruzzen geschickt. Zur Großmutter gibt es eine enge Beziehung, obwohl deren archaische Vorstellung vom Matriarchat konträr zu Alessandras Vorstellung vom Leben steht.
Als ihr beinahe erblindeter Vater plötzlich ohne Dienstmädchen dasteht, nutzt sie die Gelegenheit, um nach Rom zurückzukehren. Sie führt ihm den Haushalt und nimmt gleichzeitig ein Studium auf.
Dort trifft sie den um einige Jahre älteren Philosophiedozenten Francesco und verliebt sich unsterblich in ihn. Die beiden heiraten, aber die Ernüchterung kommt bald. Francesco ist im Widerstand tätig. Seine ganze Energie gilt dem politischen Kampf. Seine Frau vermisst nun schmerzhaft die zärtlichen Gesten, die intensiven Gespräche von früher. Doch ein Austausch darüber findet zwischen den Eheleuten nicht statt. Alessandra verrichtet geduldig die anfallenden Arbeiten im Haus und trägt mit ihrem Bürojob wesentlich zum Unterhalt bei. Innerlich aber leidet sie unter der Alltagsroutine und der Lieblosigkeit in ihrer Ehe, liegt nachts wach „ hinter der Mauer abgewandter Schultern.“
Daran ändert sich auch nichts, als Francesco nach den Zeiten im Untergrund und im Gefängnis endlich wieder daheim ist. Schließlich „befreit“ sich Alessandra in einer Verzweiflungstat.
Das klingt nun alles sehr nach viel Spannung und Dramatik. Doch schon lange habe ich mich nicht so durch ein Buch gequält.
Die Autorin prangert hier die patriarchale Gesellschaft zu jener Zeit an. Die Frauen werden umworben bis zur Hochzeit, danach haben sie sich mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zufrieden zu geben. An ihnen hängt die ganze Arbeit und die Verantwortung für die Familie. Männer bestimmen und Frauen und Kinder haben sich zu fügen.
Die Ehe ist für Alba de Cespedes das Ende einer jeden Liebe. Es gibt keine einzige glückliche Ehe im Roman. Entfremdung, Untreue, Gleichgültigkeit oder Kälte bestimmen das Zusammenleben. Alessandra wünscht sich eine Ehe, die auf bedingungsloser Liebe basiert und nicht auf Gewohnheit oder Pragmatismus.
Natürlich teile ich die Forderung der Autorin nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Und zu einer glücklichen Beziehung gehört der Austausch auf Augenhöhe unbedingt dazu.
Aber diese Botschaft habe ich bald verstanden, trotzdem wird sie mir auf über 600 Seiten wieder und wieder erklärt.
Das Buch hat eindeutige Längen und ermüdet in seiner Redundanz.
Konnte mich die atmosphärisch dichte Beschreibung der Kindheits- und Jugendjahre noch einigermaßen fesseln, war meine Geduld spätestens mit der Liebesgeschichte zu Ende. Die Hauptfigur hat mich regelrecht genervt mit ihrer schwärmerischen und naiven Idealisierung der Liebe.
Erwartet habe ich, wie es der Klappentext suggeriert, die Emanzipation einer Frau vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse jener Zeit. Doch Faschismus und Krieg kommen nur am Rande vor. Wissen um die politischen Verhältnisse wird vorausgesetzt, Mussolini selbst tritt nur als „ arrogante Stimme“ aus dem Radio auf.
Ja, es stimmt. Alessandra arbeitet zeitweise tatsächlich für den Untergrund, aber weniger aus politischer Überzeugung, sondern vielmehr um so ihrem inhaftierten Mann nahe zu sein, ihm ebenbürtig zu sein.
Das Nachwort von Barbara Vinken am Ende des Buches geht auf die Bedeutung und Grundaussage von Alba de Cespedes ein.
Der Roman hat für mich Patina angesetzt. Er wirkt, auch durch seine Schreibweise, leicht verstaubt. Und er verletzt eine der Grundregeln der Literatur: Du sollst mich nicht langweilen!